Architekturikonen: Das „Edith Farnsworth House“ von Mies van der Rohe

Er ist und bleibt ein Meisterwerk, jener Glaskubus, den Mies van der Rohe in Illinois baute – auch wenn die Auftraggeberin das anders sah

John Hill 15. Oktober 2014

Kommentar

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Philip Johnsons „Glass House“ und Mies van der Rohes „Farnsworth House“ sehen sich sehr ähnlich, doch in den Feinheiten unterscheiden sie sich dramatisch voneinander. Beide Häuser sind Glaskuben mit einem offenen Raum, beide sind ungefähr gleich groß, und beide stehen jeweils auf einem für Privatgrundstücke recht großen Gelände. Aber während Johnsons Gebäude direkt auf dem Boden sitzt, ist das von Mies konzipierte Wohnhaus für Edith Farnsworth aufgeständert. Während das „Glass House“ den Unterschied zwischen Tragstruktur und Fensterrahmen verwischt, ist die Tragstruktur des „Farnsworth Houses“ deutlich lesbar. Außerdem ist das eine Haus weiß gestrichen, das andere schwarz.

Johnson hat das „Glass House“ zwar schon 1949 fertiggestellt, also zwei Jahre bevor das „Farnsworth House“ gebaut wurde, nachdem er aber 1947 ein Modell von Mies’ Entwurf im Museum of Modern Art (MoMA) gesehen hatte, war sein Entwurf stark von Mies’ Projekt beeinflusst. Formal mögen sich die Gebäude sehr ähneln, aber für Mies verkörperte das „Farnsworth House“ gleichzeitig sein Konzept vom Universalraum, an dem er Jahrzehnte lang arbeitete und das in den 1950er-Jahren noch in einer ganzen Reihe von Wohn- und Bürohochhäusern zu Ehren kommen sollte. In diesem Sinne ist das „Farnsworth House“ für den Architekten von erheblicher Bedeutung. Hier hat er in kleinem Maßstab mit seinen Ideen experimentiert. Seine Auftraggeberin war zwar – wie wir noch sehen werden – alles andere als zufrieden mit dem Bau, aber der gilt bis zum heutigen Tag als Meisterwerk der modernen Architektur.

Auf einen Blick
Baujahr: 1951
Architekt: Ludwig Mies van der Rohe
Ort: Plano (Illinois, USA)
Besichtigung: Einzel-, Privat- und Gruppenführungen sind möglich
Fläche: 139 Quadratmeter

Edith Farnsworth traf Ludwig Mies van der Rohe bei einem Abendessen, das gemeinsame Freunde im November 1945 ausrichteten. Farnsworth kannte zu dieser Zeit schon die Entwürfe des Architekten und bat ihn, ein Wochenendhaus auf ihrem dreieinhalb Hektar großen Grundstück in Plano zu bauen, gut 60 Kilometer westlich von Chicago. Noch am selben Abend nahm Mies den Auftrag an.

Was von ihrem Treffen und dem darauffolgenden Auftragsverhältnis bekannt wurde, lässt darauf schließen, dass Farnsworth die Kreativität des Architekten schätzte und ihm viel Spielraum bei der Gestaltung gab. Ihr gefiel der Gedanke, dass ihr Haus zum Prototypen für eine neue amerikanische Architektur werden könnte.

Das Wochenendhaus liegt am Ufer des Fox River auf einem Grundstück, das sich von den ursprünglichen dreieinhalb Hektar Fläche auf mittlerweile 25 Hektar ausgedehnt hat. Es steht in der Flussaue, die bei Hochwasser überschwemmt wird. Deshalb hat Mies es etwa anderthalb Meter über dem Boden bauen lassen. Er platzierte den rechteckigen Bau parallel zum Flusslauf, um einen Ausblick in den Süden und auf die Lichtung im Norden zu ermöglichen.

Das Gebäude besteht aus drei horizontalen Ebenen: dem Boden des Hauses (der in die obere Terrasse übergeht), dem Dach und einer weiteren, tiefer liegenden Terrasse. Das Haus und die daran anschließende Terrasse umfassen gemeinsam eine Grundfläche von gut 8 mal 23 Metern. Die untere Terrasse misst etwa 7 mal 17 Meter, was ungefähr der eingeschlossenen Wohnfläche entspricht.

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Die beiden Terrassen verleihen dem ansonsten regelmäßigen und rhythmischen Entwurf eine gewisse Asymmetrie. Sie stellen außerdem sicher, dass Besucher sich dem Haus auf eine bestimmte Weise nähern: Man kommt aus östlicher Richtung auf das Gebäude zu, blickt dann frontal auf seine südliche Fassade und geht anschließend die Treppen hinauf.

Im Vergleich zur Südfassade wirkt das Haus von seiner Nordseite aus so regelmäßig, dass es schon fast uninteressant wird. Es gibt allerdings ein Detail (und denken Sie an Mies’ berühmten Ausspruch „Gott steckt im Detail“), das aus dieser Perspektive besonders gut zu erkennen ist: die Art, wie Fußboden und Decke über die Stützen hinausragen.

Dieses Detail vermittelt den Eindruck, dass die beiden Ebenen gerade so von den Stützen gehalten werden. Gleichzeitig betont es, dass Boden und Decke geradezu auf Abstand zu den Säulen gehen, als könnten sie sich noch weiter ausdehnen. In Wirklichkeit werden die Tragbalken des Bodens und der Decke von den Säulen gehalten. Sie sind mit ihnen so dezent verschweißt, dass es wirkt, als berührten sie einander kaum.

Als das „Farnsworth House“ noch im Bau war, arbeitete Mies bereits an zwei Wohnhäusern am Lake Shore Drive in Chicago. Während die Gebäudestruktur beim Farnsworth House auch auf der Außenseite ihren Ausdruck finden konnte, musste die stählerne Tragstruktur bei den Apartments am Lake Shore Drive aus Feuerschutzgründen mit Beton umhüllt werden. Deshalb entschied sich Mies dort für kleine Stahlteile an den Außenwänden, um die Struktur zu repräsentieren.

Minimalistisch Veranda Must-Know Moderns

Diese Aufnahme zeigt die Aussicht, die sich von der Terrasse aus in Richtung Fox River bietet. Sie macht deutlich, wie Mies die Landschaft hervorhebt: Sie wirkt zwischen den parallelen Ebenen von Boden und Decke wie ein Bild. Am Boden sehen wir auch die Gitterstruktur der Platten, die etwa einen halben Meter breit sind. Sie entsprechen dem Raster des Entwurfs. Jedes Element des Gebäudes ist an diesem Gitter ausgerichtet.

Was wir allerdings nicht sehen, sind die Sichtschutzscheiben, die Edith Farnsworth nach ihrem Einzug anbringen ließ. Sie wurden zwar – ebenso wie eine Garderobe im Gebäude – von Mitarbeitern des Architekten errichtet, aber Mies und die Bauherrin sprachen zu dieser Zeit schon nicht mehr miteinander. Er verklagte Farnsworth, weil sie ihm die Bezahlung verweigerte, und sie reichte Gegenklage ein, weil sie das Haus für unbewohnbar hielt. In beiden Prozessen gaben die Richter dem Architekten recht, aber der gesamte Zwischenfall hinterließ bei Mies so tiefe Wunden, dass er nie wieder einen Auftrag für ein Wohnhaus annahm.

Minimalistisch Wohnbereich Must-Know Moderns

Der Hauseingang liegt im offenen Raum zwischen Büro und Esszimmer. Dahinter befindet sich eine Holzvertäfelung, die sich vom Fußboden bis zur Decke erstreckt. An sie schließen sich zwei Badezimmer, die Küchenschränke, ein Kamin und ein zentraler Geräteraum an. Hier sehen wir den Wohnbereich vor der Holzvertäfelung (mit von Mies entworfenen Möbeln, dem Barcelona Chair und Daybed). Im Hintergrund ist die Garderobe zu erkennen, die Farnsworth nach ihrem Einzug einbauen ließ; seitlich davon befindet sich der Schlafbereich.

Mies war der Überzeugung, dass ein Haus mit ausgedehnten Glasfronten die Menschen auf nachdrücklichere Weise mit der Natur verbindet als eines mit kleinen Fenstern oder sogar der Aufenthalt im Freien. Die Wertschätzung der Natur als Bild war für Mies ebenso wichtig wie die natürliche Umgebung selbst. Ein Haus, das, wie das Farnsworth House, mitten in der Natur lag, bot ideale Bedingungen, um diese Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Auch wenn der Rechtsstreit zu einem Zerwürfnis zwischen der Bauherrin und dem Architekten führte, nutzte Farnsworth das Haus mehr als zwanzig Jahre lang. Der Bauunternehmer Peter Palumbo kaufte das Grundstück mit dem Haus 1972. Er entfernte die Sichtschutzfenster, baute eine Klimaanlage ein und gestaltete das Gelände großflächig um. Wenn er gerade nicht dort wohnte, öffnete er das Haus für Besucher.

2003 ließ er das Gebäude zur Versteigerung ausschreiben. Denkmalschützer und der National Trust for Historic Preservation (NTHP) arbeiteten zusammen, so dass der NTHP das Haus schließlich erwarb und nun als Museum betreiben kann, ähnlich wie es mit Philip Johnsons Glass House in New Canaan (Connecticut) geschah.

Minimalistisch Grundriss Must-Know Moderns

Der Fox River trat in den vergangenen zwanzig Jahren zweimal sehr stark über die Ufer, so dass Wasser in das Gebäude eindringen konnte. 1996 wurde das Farnsworth House renoviert, nachdem das Wasser anderthalb Meter über dem Fußboden gestanden hatte. 2008 stand der Fußboden noch einmal fast einen halben Meter unter Wasser; dadurch wurden weitere, wenn auch weniger umfangreiche Reparaturen notwendig. Das Haus ist immer noch von Hochwasser bedroht, aber der National Trust hat aus den bisherigen Vorfällen gelernt und Notfallmaßnahmen angeordnet, um die Innenräume zu schützen.

Minimalistisch Aufriss außen Must-Know Moderns

Quellen

Werner Blaser: „Mies van der Rohe, Farnsworth House: Weekend House/Wochenendhaus“, Basel, Birkhäuser, 1999
Michael Cadwell: „Strange Details“, Cambridge, Massachusetts: MIT Press, 2007
Phyllis Lambert: „Modern Views“, New York, Assouline, 2010
National Trust for Historic Preservation: Farnsworth House (Webseite)
Kenneth Frampton und David Larkin: „American Masterworks: The Twentieth Century House“, New York, Rizzoli, 1995 (deutsche Ausgabe: „Villen in Amerika. Meisterwerke der Moderne“, Stuttgart, Kohlhammer, 1995)