Architektur
Architekturikonen: Das Gropius-Haus in Lincoln
Skulptural, dynamisch und unkonventionell – beim Bau seines Wohnhauses in Neuengland scherte sich Gropius wenig um die Regeln der Moderne
Walter Gropius (1883-1969) gehört zu den Wegbereitern moderner Architektur – neben Le Corbusier, Mies van der Rohe und Frank Lloyd Wright. Bekannt wurde er als Gründer und Leiter der Bauhaus-Schule, nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten 1937 festigte er als Dozent an der Harvard-Universität seinen Ruf.
Gropius gründete das Bauhaus in Weimar 1919, nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Manifest fasst seine Grundsätze zusammen, im Schlusswort schrieb er: „Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei.“
In vielen Gedanken ähnelt das Programm dem Manifest der Künstlergruppe De Stijl, das im Jahr zuvor erschienen war. Doch später zeigen sich die Unterschiede der beiden Strömungen: Für das 1926 fertiggestellte Bauhaus-Gebäude am neuen Standort Dessau gelten andere Gestaltungsprinzipien als für die Bauten der De-Stijl-Gruppe wie dem Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht. Das vollverglaste, asymmetrisch angeordnete Bauhaus Dessau gilt als das Meisterwerk des Architekten Gropius. Er stellte den Anspruch, dessen Architektur müsse „unserer Welt von Maschinen, Radios und schnellen Autos“ entsprechen – ganz auf der Höhe der „kühnen neuen Ingenieurskunst“ sein.
Doch sieben Jahre später musste das Bauhaus unter dem Druck des Naziregimes schließen. Gropius, der die Leitung des Bauhauses längst abgegeben hatte und alleine arbeitete, floh zunächst nach England; vier Jahre später siedelte er in die Vereinigten Staaten um (wie auch Mies van der Rohe, der nach Chicago ging): Der Dekan der Harvard Graduate School of Design hatte ihm die Leitung der Architektur-Fakultät angeboten. Sie stand damals noch unter dem Einfluss der historistischen Beaux-Arts-Architektur, und Gropius richtete ihre Lehrinhalte nun an der „neuen Architektur“ aus.
Ganz in der Nähe ihres Standorts Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts errichtete er sein eigenes Wohnhaus. In dem Entwurf finden sich viele seiner Ideale wieder. An diesem Gebäude zeigt sich, dass moderne Architektur – auch wenn ihr oft ein universalisierender Charakter zugeschrieben wird – behutsam auf die Gegebenheiten eines ganz speziellen Standorts eingehen kann.
Auf einen Blick
Erbaut: 1938
Architekt: Walter Gropius
Ort: Lincoln, Massachusetts
Wohnfläche: 214 Quadratmeter
Besucherinformation: Geführte Touren können im Voraus gebucht werden
Gropius gründete das Bauhaus in Weimar 1919, nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Manifest fasst seine Grundsätze zusammen, im Schlusswort schrieb er: „Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei.“
In vielen Gedanken ähnelt das Programm dem Manifest der Künstlergruppe De Stijl, das im Jahr zuvor erschienen war. Doch später zeigen sich die Unterschiede der beiden Strömungen: Für das 1926 fertiggestellte Bauhaus-Gebäude am neuen Standort Dessau gelten andere Gestaltungsprinzipien als für die Bauten der De-Stijl-Gruppe wie dem Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht. Das vollverglaste, asymmetrisch angeordnete Bauhaus Dessau gilt als das Meisterwerk des Architekten Gropius. Er stellte den Anspruch, dessen Architektur müsse „unserer Welt von Maschinen, Radios und schnellen Autos“ entsprechen – ganz auf der Höhe der „kühnen neuen Ingenieurskunst“ sein.
Doch sieben Jahre später musste das Bauhaus unter dem Druck des Naziregimes schließen. Gropius, der die Leitung des Bauhauses längst abgegeben hatte und alleine arbeitete, floh zunächst nach England; vier Jahre später siedelte er in die Vereinigten Staaten um (wie auch Mies van der Rohe, der nach Chicago ging): Der Dekan der Harvard Graduate School of Design hatte ihm die Leitung der Architektur-Fakultät angeboten. Sie stand damals noch unter dem Einfluss der historistischen Beaux-Arts-Architektur, und Gropius richtete ihre Lehrinhalte nun an der „neuen Architektur“ aus.
Ganz in der Nähe ihres Standorts Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts errichtete er sein eigenes Wohnhaus. In dem Entwurf finden sich viele seiner Ideale wieder. An diesem Gebäude zeigt sich, dass moderne Architektur – auch wenn ihr oft ein universalisierender Charakter zugeschrieben wird – behutsam auf die Gegebenheiten eines ganz speziellen Standorts eingehen kann.
Auf einen Blick
Erbaut: 1938
Architekt: Walter Gropius
Ort: Lincoln, Massachusetts
Wohnfläche: 214 Quadratmeter
Besucherinformation: Geführte Touren können im Voraus gebucht werden
Das Grundstück, auf dem Gropius sein Haus baute, befindet sich in der Nähe des Walden-Sees, an dessen Ufer der Philosoph Henry David Thoreau Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Jahre in einem kleinen Holzhaus sein Hauptwerk „Walden oder Leben in den Wäldern“ schrieb. „Straße 126, südlich vom Walden-See“ – so lautet die Wegbeschreibung des Kulturdenkmäler-Verbands Historic New England, die das Gropius-Haus mittlerweile verwaltet.
Der emigrierte Architekt hat sich wahrscheinlich selbst mit den Schriften Thoreaus beschäftigt. Seine Beschreibungen des Hauses lassen jedenfalls auf eine stärkere Beziehung zu Thoreaus berühmter Hütte schließen, als eine bloß geografische Nähe.
Das Gebäude ist umgeben von Bäumen, zu denen ein größerer Bestand an Apfelbäumen gehört. Durch seine großen Fenster und Terrassen richtet es sich auf diese Umgebung aus. Vielleicht steckt dahinter eine moderne Interpretation des Dialogs mit der Natur, den Thoreau anstrebte.
Der emigrierte Architekt hat sich wahrscheinlich selbst mit den Schriften Thoreaus beschäftigt. Seine Beschreibungen des Hauses lassen jedenfalls auf eine stärkere Beziehung zu Thoreaus berühmter Hütte schließen, als eine bloß geografische Nähe.
Das Gebäude ist umgeben von Bäumen, zu denen ein größerer Bestand an Apfelbäumen gehört. Durch seine großen Fenster und Terrassen richtet es sich auf diese Umgebung aus. Vielleicht steckt dahinter eine moderne Interpretation des Dialogs mit der Natur, den Thoreau anstrebte.
Der Architekturhistoriker Kenneth Frampton stellt in seiner Deutung des Hauses fest, es habe „stärkere skulpturale Qualitäten, als die meisten Fotos vermuten lassen. … [Es] ist eine dynamische räumliche Komposition.“ Wir haben bereits die weitgehend abgeschlossene Nord- und Eingangsseite des Hauses gesehen. Diese Aufnahme zeigt die Südseite, deren große Fensterfront das Sonnenlicht einfängt. Im Obergeschoss macht ein Fassadeneinschnitt Platz für die Terrasse.
Auf der Westseite sorgt eine gemauerte Wand für festen Halt. Dahinter liegt der Schacht des Wohnzimmer-Kamins. Die skulpturalen Eigenschaften des Gebäudes zeigen sich aus dieser Perspektive am deutlichsten. Von hier aus sehen wir den Dachvorsprung, der sich auf schlanke Pilotis stützt, ebenso wie die vergitterte Terrasse und eine abgeschirmte Veranda auf der Rückseite des Hauses.
Zum Eingang gelangt man über eine Zufahrt aus nordöstlicher Richtung. Aus diesem Blickwinkel präsentiert sich das Gebäude vordergründig im Internationalen Stil: ebene weiße Wände, Fensterstreifen und eine asymmetrische Struktur.
Aber bei genauerer Betrachtung erkennt man an der sonnigen Ostfassade zarte vertikale Linien. Gropius setzte bei der Fassade nämlich keine weiß gestrichenen Betonplatten ein, wie sie bei vielen modernen Bauten in Europa üblich waren. Stattdessen griff er auf typisch amerikanische Elemente zurück: Senkrechte, einander überlappend angeordnete Holzbretter liegen über einem Gehäuse aus Wandrippen, die über mehrere Geschosse durchlaufen – das sogenannte „Balloon Framing“. (Wie an den Stahlsäulen auf dem vorherigen Foto deutlich wird, ist der Aufbau zum Teil hybrid.)
Gropius ließ sich von traditionellen Bauweisen und Materialien der Region inspirieren – und baute trotzdem etwas, das sich von der Norm stark unterschied.
Aber bei genauerer Betrachtung erkennt man an der sonnigen Ostfassade zarte vertikale Linien. Gropius setzte bei der Fassade nämlich keine weiß gestrichenen Betonplatten ein, wie sie bei vielen modernen Bauten in Europa üblich waren. Stattdessen griff er auf typisch amerikanische Elemente zurück: Senkrechte, einander überlappend angeordnete Holzbretter liegen über einem Gehäuse aus Wandrippen, die über mehrere Geschosse durchlaufen – das sogenannte „Balloon Framing“. (Wie an den Stahlsäulen auf dem vorherigen Foto deutlich wird, ist der Aufbau zum Teil hybrid.)
Gropius ließ sich von traditionellen Bauweisen und Materialien der Region inspirieren – und baute trotzdem etwas, das sich von der Norm stark unterschied.
Ein Vordach schiebt sich im schiefen Winkel aus der Nordfassade, als wollte es die Gäste von der Zufahrt wegschnappen. Ungefähr auf der Hälfte des Weges zum Eingang beginnt eine Wand aus Glasbausteinen – eine starke Abweichung von den landestypischen Materialien, die Gropius ansonsten verwendete.
Der Blick um die Ecke offenbart eines der aufregendsten Details in der Gestaltung: die Spindeltreppe, die zu einer Öffnung in der Außenwand führt. Wohin mag sie den Besucher bringen? Oder diente sie als heimlicher Fluchtweg?
Der Blick um die Ecke offenbart eines der aufregendsten Details in der Gestaltung: die Spindeltreppe, die zu einer Öffnung in der Außenwand führt. Wohin mag sie den Besucher bringen? Oder diente sie als heimlicher Fluchtweg?
Bewegt man sich ein paar Schritte weit in den Flur hinein, steht man vor einer Wendeltreppe, die ins Obergeschoss führt. Auch hier befinden sich alte und neue Stilelemente im Gleichgewicht. Der Architekt Alexander Gorlin analysiert den Aufbau so: „Der Entwurf könnte als moderne Version der typischen [nordamerikanischen] Kolonialarchitektur interpretiert werden – ein zentrales Treppenhaus, dann auf einer Seite der Wohnbereich, auf der anderen die Küche, und darüber die Schlafzimmer.“
Aus der Perspektive dieser Aufnahme, mit Blick auf den Eingang, liegt das Wohnzimmer auf der linken Seite und die Küche rechts hinter dem Betrachter.
Aus der Perspektive dieser Aufnahme, mit Blick auf den Eingang, liegt das Wohnzimmer auf der linken Seite und die Küche rechts hinter dem Betrachter.
Vom Flur geht auch Gropius’ Arbeitszimmer ab, dessen großflächige Fensterseite nach Norden ausgerichtet ist. Eine Tür des Arbeitszimmers führt direkt nach draußen zu der mysteriösen Spindeltreppe. Zwar gelangt man auch von innen über das Obergeschoss auf die Terrasse, doch dieser Zugang führt durch das Kinderzimmer (der Grundriss am Ende zeigt die Aufteilung.)
Auf der dem Fenster gegenüberliegenden Seite befindet sich eine weitere Wand aus Glasbausteinen; sie trennt das Arbeitszimmer vom Wohn- und Essbereich.
Auf der dem Fenster gegenüberliegenden Seite befindet sich eine weitere Wand aus Glasbausteinen; sie trennt das Arbeitszimmer vom Wohn- und Essbereich.
Ins Schlafzimmer kommt man nur durch die Ankleide von Ise Gropius, der Ehefrau des Architekten (der Kleiderschrank und das Bad befinden sich im Bild zur Linken). Entschärft wird diese ungewöhnliche, nicht immer günstige Konstellation durch eine Zwischenwand aus Glas, in die ein Spiegel eingelassen ist. Sie trennt die beiden Räume voneinander.
Abschließend blicken wir von der Terrasse im Obergeschoss nach Westen. Nicht mehr im Bild, zu unserer Rechten, liegt die Außen-Spindeltreppe. Von hier aus haben wir einen detaillierteren Blick auf die Holzverkleidung der Wände. Im Hintergrund ist ein Haus von Marcel Breuer zu sehen, das Gropius und Breuer ebenfalls auf dem Land von Helen Storrow gebaut haben.
1969 starb Gropius, und zehn Jahre nach seinem Tod stiftete seine Frau das Haus der Society for the Preservation of New England Antiquities, aus der die Kulturerbe-Organisation Historic New England hervorging. 1985, zwei Jahre nach dem Tod von Ise Gropius, öffnete das Haus als Museum. 2002 wurde es zum nationalen Kulturdenkmal erklärt.
55 Jahre lang hatten die Eheleute ihr Haus selbst instand gehalten, danach beauftragte Historic New England gelegentlich Fachleute mit Renovierungsarbeiten. Das Haus mitsamt den Originalmöbeln befindet sich in einem ausgezeichneten Zustand – ein Besuch lohnt sich.
55 Jahre lang hatten die Eheleute ihr Haus selbst instand gehalten, danach beauftragte Historic New England gelegentlich Fachleute mit Renovierungsarbeiten. Das Haus mitsamt den Originalmöbeln befindet sich in einem ausgezeichneten Zustand – ein Besuch lohnt sich.
Quellen
- Ulrich Conrads (Hg.): Programs and Manifestoes on 20th-Century Architecture. MIT Press, 1994 (deutsche Ausgabe: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Basel: Birkhäuser 1981, 1. Auflage 1964)
- William J.R. Curtis: Modern Architecture Since 1900. New Jersey: Prentice-Hall, 3. Aufl., 1996 (Erstauflage 1982; deutsche Ausgabe: Architektur im 20. Jahrhundert. Stuttgart: DVA, 1987)
- Kenneth Frampton und David Larkin American Masterworks: The Twentieth Century House. New York: Rizzoli, 1995
- Alexander Gorlin: Tomorrow’s Houses: New England Modernism. New York: Rizzoli, 2011
Die Nordansicht zeigt ein Vordach, das auf das Gebäude zuläuft. Darunter liegt, hinter Glasbausteinen verborgen, der Haupteingang. Eine Spindeltreppe führt zur Terrasse im zweiten Geschoss.