Heimtextil-Trends: Meterweise Farben, Muster & gutes Gewissen
Die Messe 2022 zeigte, wie mit Tradition und Innovation mehr nachhaltige und trotzdem schöne Wohntextilien entstehen
Das gab’s noch nie: Heimtextil im Sommer. Kleiner, familiärer und gemeinsam mit den Messen Techtextil und Texprocess. Wegen Corona fand die Leitmesse für Wohntextilien nicht wie üblich im Januar, sondern vom 21. Bis 24. Juni 2022 statt. Alles eitel Sonnenschein beim Neustart nach zwei Jahren Pause?
Foto: Messe Frankfurt Exhibition GmbH/Pietro Sutera
Willkommen im textilen Zukunftslabor. Klarer Fokus der Heimtextil auch 2022: Nachhaltigkeit. Es gab kaum einen Aussteller, der nicht mit den Schlagworten, Recycling, Upcycling, Kreislaufwirtschaft oder Sustainable auftrat.
Ein Schaufenster für Neues und Innovationen ist jährlich die Ausstellung der Heimtextil-Trends (berichtet hatten wir darüber bereits im September 2021). Ein buntes Gewusel an Stoffen, Farben und Mustern. Hier wird die Zukunft präsentiert und außergewöhnliche Ansätze zur Vermeidung von Abfall und ökonomischen Ungleichgewichten gezeigt. Wie:
Willkommen im textilen Zukunftslabor. Klarer Fokus der Heimtextil auch 2022: Nachhaltigkeit. Es gab kaum einen Aussteller, der nicht mit den Schlagworten, Recycling, Upcycling, Kreislaufwirtschaft oder Sustainable auftrat.
Ein Schaufenster für Neues und Innovationen ist jährlich die Ausstellung der Heimtextil-Trends (berichtet hatten wir darüber bereits im September 2021). Ein buntes Gewusel an Stoffen, Farben und Mustern. Hier wird die Zukunft präsentiert und außergewöhnliche Ansätze zur Vermeidung von Abfall und ökonomischen Ungleichgewichten gezeigt. Wie:
Ausstellung von Vera Roggli (Bild oben); Textilstudie von Studio Adaptive Skins (rechts unten); Ausstellung von mit Pflanzenteilen gefärbten Stoffen (links unten). Fotos: Messe Frankfurt Exhibition GmbH/Pietro Sutera; Thomas Helbing für Houzz
- Stoffe gefärbt mit Avocadokernen, Zwiebel- oder Walnussschalen. Untersucht wird dabei auch, wie der natürliche Färbeprozess die Haltbarkeit verändert.
- Bananatex®, das erste technisch produzierte Gewebe aus der Bananenhanfpflanze Abacá. Voll kompostierbar.
- Studio Adaptive Skins entwickelt ein nachhaltiges Filament aus recyceltem Meeresplastikabfall und Seacell (hier Mischung aus Seetang und Seide), das beim Kontakt mit Wasser dreidimensionale Strukturen bildet.
- Pond Cycle® produziert Bioplastik aus Zucker, den Pflanzen bei der Fotosynthese aus klimaschädlichem CO₂ produzieren (Biologieunterricht!). Daraus werden biologisch abbaubare Polyesterfasern gesponnen.
- Die Designerin Vera Roggli upcycelt alte Geschirrtücher zu neuen Stoffen und Dekoren.
Foto: Dekoma
Materialtrends – alles öko, oder? Die Realität der Branche befindet sich direkt gegenüber vom Heimtextil Trend Space. Der Stand von Dekoma, einem Stoffproduzenten im polnischen Posen, ist mit Stoffbahnen aus Leinen und Baumwolle dekoriert. „Mein Sohn meint, wir brauchen das, um zukunftsfähig zu bleiben“, erzählt Eigentümer Maciej Kuchareczko. „Wir müssen natürlich etwas verändern. Aber am Ende ist alles auch ein Kostenfaktor für Einkäufer und Endkonsumenten. Leinen ist derzeit auf dem Weltmarkt kaum zu bekommen und teuer. Kunstfasern und Mischungen sind günstiger, auch oft pflegeleichter. Und auch die Langlebigkeit spielt eine Rolle.“
Wobei er auch auf die Verarbeitungseigenschaften von Stoffen hinweist, etwa Nähte an Rundungen, wo natürliche Stoffe besonders anfällig für Risse sein können. Laut Kuchareczko kann die Leistung eines Materials in solchen Details genauso wichtig sein wie die allgemeine Verschleißfestigkeit. Stolz präsentiert Kuchareczko seinen Polsterstoff „Lincoln“ (siehe Foto) mit einer Oberfläche aus hundert Prozent Mohair und einer Abriebfestigkeit von 1,5 Millionen Martindale-Zyklen (normal sind etwa 50-60.000 Martindale). Tradition kann eben per se innovativ sein.
Materialtrends – alles öko, oder? Die Realität der Branche befindet sich direkt gegenüber vom Heimtextil Trend Space. Der Stand von Dekoma, einem Stoffproduzenten im polnischen Posen, ist mit Stoffbahnen aus Leinen und Baumwolle dekoriert. „Mein Sohn meint, wir brauchen das, um zukunftsfähig zu bleiben“, erzählt Eigentümer Maciej Kuchareczko. „Wir müssen natürlich etwas verändern. Aber am Ende ist alles auch ein Kostenfaktor für Einkäufer und Endkonsumenten. Leinen ist derzeit auf dem Weltmarkt kaum zu bekommen und teuer. Kunstfasern und Mischungen sind günstiger, auch oft pflegeleichter. Und auch die Langlebigkeit spielt eine Rolle.“
Wobei er auch auf die Verarbeitungseigenschaften von Stoffen hinweist, etwa Nähte an Rundungen, wo natürliche Stoffe besonders anfällig für Risse sein können. Laut Kuchareczko kann die Leistung eines Materials in solchen Details genauso wichtig sein wie die allgemeine Verschleißfestigkeit. Stolz präsentiert Kuchareczko seinen Polsterstoff „Lincoln“ (siehe Foto) mit einer Oberfläche aus hundert Prozent Mohair und einer Abriebfestigkeit von 1,5 Millionen Martindale-Zyklen (normal sind etwa 50-60.000 Martindale). Tradition kann eben per se innovativ sein.
Stoffe von Rafias Prisim (kleines Bild oben); Stoffe aus Hanf am Stand von Audejas (kleines Bild unten); Harmolan-Stoff aus der „Bauhaus“-Kollektion von Termolst (großes Bild). Fotos: Thomas Helbing für Houzz; Termolst
Gut zu sehen ist das auch beim argentinischen Hersteller Rafias Prisim. Seit 1966 stellt das Familienunternehmen in Buenos Aires textile Oberflächen aus Bast, Leinen, Baumwolle und Jute per Hand oder maschinell her (gewebt wird teilweise noch auf Webstühlen aus dem 19. Jahrhundert). Die derben Stoffe wirken im ersten Moment wie die typischen Jutesäcke, kommen Farbe und Muster ins Spiel wird’s lebendig und wohnlich. Beispiellos robust sind diese Gewebe.
Welches Potenzial in der Naturfaser Hanf steckt, zeigt der litauische Produzent Audejas. Hier lernt man, dass die Pflanze beim Anbau viel weniger Wasser als Baumwolle verbraucht, anspruchsloser ist, kaum Pestizide nötig sind, von Natur aus antibakteriell ist, viel CO₂ absorbiert und die Faserausbeute viel größer ist als bei Baumwolle. „Textilien aus Hanf haben in Litauen eigentlich eine lange Tradition“, erzählt Egle Tamosauskiene. „Wir wollen das mit einer kleinen Kollektion wiederbeleben.“
Dass auch Kunstfasern einen nachhaltigen Ansatz verfolgen können, zeigt etwa der belgische Hersteller Termolst mit Geweben aus Harmolan. Eine Polypropylenfaser in unterschiedlicher Materialkomposition, die als Nebenprodukt bei der Kunststoff-Produktion entsteht. Bei der Herstellung wird kein Wasser eingesetzt. Ressourcen geschont. Zudem ist Harmolan recyclebar, schmutzabweisend und extrem widerstandsfähig.
Gut zu sehen ist das auch beim argentinischen Hersteller Rafias Prisim. Seit 1966 stellt das Familienunternehmen in Buenos Aires textile Oberflächen aus Bast, Leinen, Baumwolle und Jute per Hand oder maschinell her (gewebt wird teilweise noch auf Webstühlen aus dem 19. Jahrhundert). Die derben Stoffe wirken im ersten Moment wie die typischen Jutesäcke, kommen Farbe und Muster ins Spiel wird’s lebendig und wohnlich. Beispiellos robust sind diese Gewebe.
Welches Potenzial in der Naturfaser Hanf steckt, zeigt der litauische Produzent Audejas. Hier lernt man, dass die Pflanze beim Anbau viel weniger Wasser als Baumwolle verbraucht, anspruchsloser ist, kaum Pestizide nötig sind, von Natur aus antibakteriell ist, viel CO₂ absorbiert und die Faserausbeute viel größer ist als bei Baumwolle. „Textilien aus Hanf haben in Litauen eigentlich eine lange Tradition“, erzählt Egle Tamosauskiene. „Wir wollen das mit einer kleinen Kollektion wiederbeleben.“
Dass auch Kunstfasern einen nachhaltigen Ansatz verfolgen können, zeigt etwa der belgische Hersteller Termolst mit Geweben aus Harmolan. Eine Polypropylenfaser in unterschiedlicher Materialkomposition, die als Nebenprodukt bei der Kunststoff-Produktion entsteht. Bei der Herstellung wird kein Wasser eingesetzt. Ressourcen geschont. Zudem ist Harmolan recyclebar, schmutzabweisend und extrem widerstandsfähig.
Im Uhrzeigersinn: glänzendes aus Samt sowie Jacquard-Gewebe bei Luks; grob Gestricktes von Lanerossi; Leinenstoffe (auch als Mischung mit Wolle, Baumwolle, Seide) bei Libeco; Tweed in allen Farben bei Lech Fabrics. Fotos: Thomas Helbing für Houzz; Messe Frankfurt Exhibition GmbH/Thomas Fedra.
Das Material bestimmt die Haptik – und Optik. Wie sich ein Material anfühlt, ist für viele Konsumenten entscheidend. Bei Symphony Mills ließ sich entdecken, dass gestrickte Kunstfasern flauschig wie Kaschmir sein können. Wer sich für einen Leinenvorhang etwa vom belgischen Hersteller Libeco entscheidet, muss den Knitterlook mitunter lieben. Auffällig waren viele Bouclés und Tweedstoffe für Polster als Reminiszenz an 60er-Jahre-Clubpolster. Rustikal wirken gestrickte Heimtextilien aus dicken Wollgarnen etwa von Lanerossi. Zart und luxuriös: Schimmernder Samt sowie viele Jacquardstoffe waren fast überall zu sehen. Ebenfalls ein Trend: Dreidimensionale Stoffe, deren Haptik und somit Optik durch Hitze und Pressen entstehen und dauerhaft so bleiben.
Das Material bestimmt die Haptik – und Optik. Wie sich ein Material anfühlt, ist für viele Konsumenten entscheidend. Bei Symphony Mills ließ sich entdecken, dass gestrickte Kunstfasern flauschig wie Kaschmir sein können. Wer sich für einen Leinenvorhang etwa vom belgischen Hersteller Libeco entscheidet, muss den Knitterlook mitunter lieben. Auffällig waren viele Bouclés und Tweedstoffe für Polster als Reminiszenz an 60er-Jahre-Clubpolster. Rustikal wirken gestrickte Heimtextilien aus dicken Wollgarnen etwa von Lanerossi. Zart und luxuriös: Schimmernder Samt sowie viele Jacquardstoffe waren fast überall zu sehen. Ebenfalls ein Trend: Dreidimensionale Stoffe, deren Haptik und somit Optik durch Hitze und Pressen entstehen und dauerhaft so bleiben.
Stoffcollage im Trend Space der Heimtextil. Foto: Messe Frankfurt Exhibition GmbH/Pietro Sutera
Farben und Muster: Es lebe die Vielfalt! Im Heimtextil Trend Space war gut zu sehen: Bei Farben und Mustern gibt es eigentlich nichts, was es nicht gibt. An den Ständen der Hersteller zeigt sich folgendes Bild.
Farben und Muster: Es lebe die Vielfalt! Im Heimtextil Trend Space war gut zu sehen: Bei Farben und Mustern gibt es eigentlich nichts, was es nicht gibt. An den Ständen der Hersteller zeigt sich folgendes Bild.
Fisching for compliments bei Jover (Bild links); Kupferreflexe bei Dekoma (kleines Bild oben); Muster-Trend (kleines Bild unten). Fotos: Thomas Helbing für Houzz; Messe Frankfurt Exhibition GmbH/Thomas Fedra
Auffällig: Muster sind grafisch, geometrisch oder aus traditionellen Motiven entstanden, die oft als Patchwork gesampelt werden. Vielfach gesehen: maritime Motive wie Fische, Seepferdchen, Algen und Korallen. Dauerbrenner: Blumen und Tropen-Prints.
Innovativ: viele metallische Reflexe. Mal plakativ in Gold oder Kupfer als Jacquard, mal großflächig und subtil durch verwobene, schimmernde Garne.
Auffällig: Muster sind grafisch, geometrisch oder aus traditionellen Motiven entstanden, die oft als Patchwork gesampelt werden. Vielfach gesehen: maritime Motive wie Fische, Seepferdchen, Algen und Korallen. Dauerbrenner: Blumen und Tropen-Prints.
Innovativ: viele metallische Reflexe. Mal plakativ in Gold oder Kupfer als Jacquard, mal großflächig und subtil durch verwobene, schimmernde Garne.
Im Uhrzeigersinn: Naturfarben gesehen im Heimtextil Trend Space; kräftige Sommerfarben bei Sati; Collage aus Aqua- und Blautönen bei Gebrüder Munzert GmbH; Weiß wird durchbrochen mit den „New Pastels“, wie das Heimtextil Trendcouncil die aktuellen Pastelltöne nennt. Fotos: Messe Frankfurt Exhibition GmbH/Thomas Fedra und Pietro Sutera; Thomas Helbing für Houzz
Auch bei den Farben dominiert die Farbe des Meeres und des Himmels: Blau in allen seinen Schattierungen war omnipräsent. Dazu kommen natürliche Töne, die sich aus dem Naturtrend ergeben: Naturweiß und Leinenbeige, natürliche Grün-, Grau- und Erdtöne. Kombiniert entweder mit zarten oder kräftigen Pastellen oder leuchtenden Akzentfarben. Kraftvoll und sommerlich: die Farben des Südens mit ausgeblichenem Orange, Rot und Gelb.
Auch bei den Farben dominiert die Farbe des Meeres und des Himmels: Blau in allen seinen Schattierungen war omnipräsent. Dazu kommen natürliche Töne, die sich aus dem Naturtrend ergeben: Naturweiß und Leinenbeige, natürliche Grün-, Grau- und Erdtöne. Kombiniert entweder mit zarten oder kräftigen Pastellen oder leuchtenden Akzentfarben. Kraftvoll und sommerlich: die Farben des Südens mit ausgeblichenem Orange, Rot und Gelb.
„Mit insgesamt 117 Teilnehmernationen, rund 63.000 Besuchern und 2.300 Ausstellern gelang ein fulminanter Re-Start der internationalen Textilmessen auf dem Frankfurter Messegelände“, resümiert die Messeleitung positiv in einem Statement.
Aussteller Rüdiger Speicher, Vertriebsleitung bei Teppiche Lalee oHG: „Wir hatten viele Neukontakte, hauptsächlich international, aus Frankreich, aus arabischen Ländern, aber auch aus Deutschland. Nur der deutsche Fachhandel fehlte. Eigentlich war ich ein Gegner des einmaligen Juni-Termins, aber ich bin angenehm überrascht…“
Nicht unerheblich für die gute Stimmung: Sommerparty, Live-Musik und Biergarten auf dem abendlichen Freigelände der Messe. Wäre ja im frostigen Januar nicht möglich.