Manufakturbesuch: Bunte Glasjuwelen der Tischkultur
Kristallglasschliff in leuchtenden Farben: Seit 1870 stellt die Lübecker Manufaktur Rotter Glas wahre Designikonen her
Die Manufaktur Rotter Glas schleift und veredelt in vierter Generation, nun schon seit knapp 150 Jahren, Kristallglas, das in bunten Farben und verschiedenen Mustern funkelt. Die Dekor-Gläser werden dabei nach wie vor in einer kleinen Lübecker Manufaktur produziert. Jedes Glas erzählt seine eigene Geschichte und ist ein kunstvolles Einzelstück, irgendwo zwischen traditionellem Glashandwerk und zeitlosem Design.
Fotos: Maischa Souaga
Fotos: Maischa Souaga
In den Regalen des Verkaufsraums der Lübecker Manufaktur Rotter Glas reihen sich die geschliffenen Gläser mit facettenreichen Dekoren wie bunte Juwelen aneinander. Die eingeschliffenen Schwünge, Linien und Kugeln spielen mit dem hereinscheinenden Tageslicht: Seit 1870 wird hier alles in feiner Handarbeit hergestellt. Die Deutsch-Amerikanerin Birgit Rotter führt heute erfolgreich das Unternehmen in vierter Generation. „Ich bin immer wieder fasziniert davon, welche Leichtigkeit, Verspieltheit und auch welchen Humor unser Gründer Carl Rotter seinen Gläsern schon damals verlieh.“ Mittlerweile sind die unverwechselbaren Rottergläser vom Kunst- zum Kultobjekt geworden.
Jedes Stück erzählt dabei seine ganz eigene Geschichte, wie beispielsweise das rote Glas mit dem Namen „Margarete“. Es entstand als Überraschung für Carl Rotters Frau zum Hochzeitstag. Die Schliffe sollen verschiedene Phasen einer Beziehung aufgreifen. „Die schwierigen Zeiten werden durch die Schnecke veranschaulicht: Während des Schleifens darf nicht abgesetzt werden – viel Kraft ist nötig. Fingerspitzengefühl und Geduld sind beim Schleifen der zarten Linien der Spirale erforderlich. Der Blick durch die klare Kugel lässt große Herausforderungen auf einmal ganz klein erscheinen“, sagt Birgit Rotter.
Dieses Glas ist eines von Birgit Rotters Lieblingsstücken. „Ich benutze es, wenn ich vor großen Herausforderungen stehe. Ich bin nämlich stolz und dankbar, dass der Becher über Generationen hinweg stets das Markenzeichen der Familie geblieben ist“, so die Chefin der Manufaktur. Zwar werden auf Kundenwunsch auch Stielgläser und Karaffen hergestellt, aber an erster Stelle steht nach wie vor der Becher. „Uns ist wichtig, dass er später für Wein, Tee, Espresso oder nur ein Wasser im Alltag hergenommen wird, statt im Schrank zu verstauben“, sagt Rotter.
„Carl Rotter war der erste, der so viel Handarbeit in ein Wasserglas steckte, das man täglich benutzt“, sagt Birgit Rotter. Der Unternehmensgründer trat damals mit der Idee an, einen hübschen wie praktischen Becher zu kreieren – der legendäre Kugelbecher entstand. „Die Formen und Dekore bereichern noch heute jede Tafel, ob klassisch, modern oder zeitlos.“
In der Nachkriegszeit stand kaum noch hochwertiges Glas zur Verfügung, weshalb Carl Rotter auf temporär einfaches Pressglas zurückgreifen musste. Da dies trüb war und bis dahin nicht wirklich als attraktiv galt, kam ihm die Idee, es handwerklich aufzuwerten und aus dem Material ein geschmackvolles Trinkgefäß zu entwickeln. „Das Kugelbohrverfahren, das Rotter sich patentieren ließ, ermöglichte es, die Gläser sehr tief zu schleifen. Danach poliert man die Kugeln so, dass sie klar und lichtdurchlässig werden und dadurch ein Kaleidoskop-Effekt entsteht“, so Birgit Rotter.
Im Laufe der Zeit wurden diverse weitere Schleiftechniken, Farben und unterschiedliche Gravuren entwickelt. Zum Vergleich: Links ist der Kugelbecher von damals zu sehen, rechts die heutige Interpretation.
Im Laufe der Zeit wurden diverse weitere Schleiftechniken, Farben und unterschiedliche Gravuren entwickelt. Zum Vergleich: Links ist der Kugelbecher von damals zu sehen, rechts die heutige Interpretation.
Treppab gelangt man vom funkelnden Schauraum in die Manufaktur im Souterrain. Neben den 160 Dekoren, die dort entstehen, gibt es außerdem solche, die im Kundenauftrag realisiert werden. Wie etwa die „Big 5“, Darstellungen der fünf großen Jagdtiere Afrikas, oder auch „Lollipop“, ein Motiv, das ursprünglich ein Scheich aus Dubai in Auftrag gab, der sich ein zehnjähriges exklusives Nutzungsrecht dafür sicherte. Inzwischen ist diese Frist verstrichen und die Serie höchst beliebt.
Als weitere illustre Kunden wären der jordanische Königspalast und Model Claudia Schiffer zu nennen, die die Lübecker Kunstware in ihren Schränken und auf dem Tisch stehen haben.
Als weitere illustre Kunden wären der jordanische Königspalast und Model Claudia Schiffer zu nennen, die die Lübecker Kunstware in ihren Schränken und auf dem Tisch stehen haben.
Wovon lassen sich die Schleifer eigentlich inspirieren? „Designs entwickeln sich nicht am Schreibtisch, sondern in der Praxis – während eines alltäglichen Arbeitsablaufs. Dann wandle ich einfach ein Motiv ab und etwas Neues entsteht. Aber auch durch Magazine und Muster lasse ich mich inspirieren“, so ein Mitarbeiter.
Birgit Rotter will mit dem Unternehmen nicht nur traditionelle Handwerkskunst weiterleben lassen, sondern gleichzeitig mit der Zeit gehen. Deswegen werden kontinuierlich neue Entwürfe entwickelt und skizziert. Wenn Rotter das Design gefällt, entsteht ein Probeentwurf. „Dieser wird dann auf der nächsten Messe präsentiert, und wenn der dort gut ankommt, nehmen wir ihn ins Sortiment auf“, so Rotter. Aus einem Prototypen entsteht so in Teamarbeit schnell eine neue Serie.
In der Manufaktur arbeiten zurzeit zwölf Mitarbeiter, zwei davon sind Auszubildende. Hier sehen wir Stephan, der sich im dritten Lehrjahr befindet und gerade an seiner Abschlussarbeit sitzt. „Die Ausbildung macht mir viel Spaß, und auch die Kreativität, die man in diesem Beruf benötigt, gefällt mir.“ Der Weg zur Meisterschaft ist allerdings lang. Nach der Ausbildung braucht es noch einmal bis zu sieben Jahren, bis man genug handwerkliches Können besitzt, um die vielen unterschiedlichen Dekore der Manufaktur umzusetzen.
Noch nicht ganz fertig und trotzdem jetzt schon wunderschön: Diese Gläser mit tierisch guten Motiven entwickelt der Auszubildende gerade für seine Abschlussarbeit.
Rotter Glas arbeiten mit ausgewählten Glasbläsern zusammen, die ihre mundgeblasene Ware in zehn verschiedenen Farben und vier Größen anliefern. Jedes der als Überfangglas hergestellten Stücke setzt sich aus einer farbigen und einer klaren Glasschicht zusammen, was für tolle Farbspiele sorgt. Bevor es an den Schliff der Gläser geht, wird jedes Gefäß auf Glasstärke oder Unreinheiten geprüft.
Wie die bunten Rohlinge zu schillernden und doch alltagstauglichen Kunstobjekten werden? „Schon die mundgeblasenen Kristallgläser sind kleine Unikate – sie weisen unterschiedliche Glasstärken und Unebenheiten wie Bläschen, Schlieren und Farbabweichungen auf. Das ist der besondere Charme, der bereits die Rohlinge ausmacht“, sagt Rotter. Nach der Anlieferung geht das farbige Glas durch mehrere Hände.
Vier Schritte bis zum fertigen Rotterglas:
Zuerst werden mit einem wasserfesten Stift (hier beim Kugelbecher) horizontale und vertikale Linien auf das Glas gezeichnet, um eine gleichmäßige Aufteilung zu erreichen.
Dies erfolgt entweder mithilfe einer Anzeichenmaschine oder per Hand mit einer Schablone. „Je nachdem, ob es sich dabei um einen gleichmäßigen oder unregelmäßigen Schliff handelt“, so Rotter.
Danach wandern die Gläser zum „Vorreißen und Profilieren“. Mit Diamant-Schleifscheiben wird tief in das Glas vorgeschliffen. „Unterschiedliche Profilierungen erzeugen die verschiedenen Konturen und Tiefen für die entsprechenden Schliffe“, so Rotter.
Anschließend werden die Gläser satiniert. „Mit Korund-Schleifscheiben wird feingeschliffen und der besondere samtige Glanz erreicht“, so Birgit Rotter. Dies ist die Vorbereitung auf den letzten Arbeitsgang.
Abschließend erfolgt das Polieren mit Korkrädern und Bimssteinmehl. Es gibt den Gläsern den unverwechselbaren Glanz. „Beim Polieren ist viel Fingerspitzengefühl nötig, da hierbei das Glas am stärksten beansprucht wird“, so Rotter. Schließlich werde die Gläser handsigniert und per Aufkleber mit dem Manufaktur-Logo versehen.
Die Glasfarben Gold, Grau und Blau stellen immer die größte Herausforderung für die Schleifer dar, da sie – vor allem bei Gold – „blind“ geschliffen werden müssen.
Der Preis der Gläser ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Es gibt sie ab 100 Euro aufwärts. Schliffe, bei denen viel Farbe abgetragen wird, wie es beispielsweise bei den „Big 5“ oder den „Asiatischen Kraftsymbolen“ der Fall ist, sind aufgrund der längeren Arbeitszeit kostspieliger als andere Modelle.
Der Preis der Gläser ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Es gibt sie ab 100 Euro aufwärts. Schliffe, bei denen viel Farbe abgetragen wird, wie es beispielsweise bei den „Big 5“ oder den „Asiatischen Kraftsymbolen“ der Fall ist, sind aufgrund der längeren Arbeitszeit kostspieliger als andere Modelle.
Wie lange man für einen Becher genau braucht, lässt sich schwer sagen. „Es kommt dabei auf viele Faktoren an. Ist es ein Einzel- oder Großauftrag? Welche Farbe, welche Größe und welches Dekor werden gewünscht?“, so Rotter.
Die Lübecker Manufaktur ist nach wie vor eine kleine. Im Lager gibt es daher meist nicht mehr als zwei Gläser pro Farbe, Größe und Dekor auf Vorrat. Und so soll es auch bleiben, klein und fein – aber mit offenem Blick in die Welt.
Rotter Glas ist mittlerweile bei vielen international ausgewählten Händlern zu erwerben. Online gibt es die Gläser der Manufaktur unter anderem bei Artedona, Desiary und Bella Amara. Ein Besuch der Manufaktur ist aber auch immer eine Reise wert. Es ist ein Besuch, bei dem man viel erfährt und der zeigt, wie klingendes Kristall in funkelnden Farben seit vier Generationen ein Familienunternehmen begeistert. Es ist auch die Erkundung eines Manufakturbetriebes, der einer der letzten seiner Art ist. „Werkstätten zur Glasveredelung gibt es nämlich leider nur noch eine Handvoll“, so Rotter.
Die Kristallglas-Manufaktur Rotter Glas befindet sich in Lübeck Sankt Lorenz Nord. Dort können Sie die Schleifer in Aktion bestaunen und die handgeschliffenen Gläser erwerben. Adresse: Elisenstraße 2 in Lübeck.
Mehr Manufakturbesuche und Porträts interessanter Kunsthandwerker
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