Manufakturbesuch: Lacy Barry – wundersame Papierkunst aus Berlin
Lacy Barry bastelt plastisch, mit einem der wichtigsten Werkstoffe der Welt – Papier. Das Ergebnis: Kunstwerke aus einem bunten Wunderland
Julia Schoppe
26. Mai 2016
Houzz-Contributor
Eigentlich sah Lacy Barry ihre Zukunft in New York: „Als eine dieser smarten avantgardistischen Frauen, die in einer der aufregendsten Städte der Welt leben und Kunst machen“, so die gebürtige Kanadierin – schmunzelnd. Doch wie es bei aufregenden Hotspots so ist, können überquellende Inspiration und kräfteraubender Alltag oft sehr nah beieinander liegen. Also zog es die neugierige Künstlerin weiter nach Berlin. Heute bereichert sie mit ihren Papier-Kreationen die Neuköllner Kreativszene. Und das, obwohl Papier nicht immer zu ihren bevorzugten Materialien gehörte. Wofür sie den Allzweckstoff so schätzt, und in was sie ihn verwandelt, hat sie uns in ihrem Studio erzählt.
Für Lacy Barry ist Papier womöglich das, was Marmor für Bildhauer ist. Doch das war nicht immer so: „Man kann sagen, dass nicht ich zum Papier, sondern das Papier im richtigen Moment zu mir fand”, sagt die 33-Jährige. „Papier wurde immer mehr Teil der kommerziellen Kunst. Bevor auch mich dieser Trend erwischte, arbeitete ich mit Stoffen, Plastik und allen Arten von recyceltem Material. Irgendwann entschied ich mich Neues auszuprobieren und diesem vermeintlich unauffälligen Basismaterial eine Chance zu geben. Sehr schnell wurde daraus dann eine große Vorliebe.”
Betrachtet man Barry heute mit ihren Arbeiten, denkt man unwillkürlich an Alice im Wunderland.
Betrachtet man Barry heute mit ihren Arbeiten, denkt man unwillkürlich an Alice im Wunderland.
Von Set-Designs für Shops, Künstler und Werbekunden über freie Arbeiten und Installationen bis hin zu Interior-Design reicht Barrys Arbeitsspektrum.
Die großen Blüten in ihrem Berliner Atelier machen sogar ihrem natürlichen Vorbild Konkurrenz. Sie entstanden für eine Installation in einem Gucci-Store. Als Betrachter würde man sich die Fantasieblumen am liebsten ins Wohnzimmer stellen.
Die großen Blüten in ihrem Berliner Atelier machen sogar ihrem natürlichen Vorbild Konkurrenz. Sie entstanden für eine Installation in einem Gucci-Store. Als Betrachter würde man sich die Fantasieblumen am liebsten ins Wohnzimmer stellen.
Flügel gehören zu Barrys bevorzugten Motiven und machen sich besonders gut als Wanddekoration – auch in ihrer Berliner Altbauwohnung hat sie ein Flügelpaar aufgehängt. Angesichts ihrer bunten Entwürfe drängt sich die Frage auf, wo die gebürtige Kanadierin ihre Inspiration hernimmt. „Meine Inspiration kommt von überall und nirgendwo. Es gibt Zeiten, in denen ich aus nahezu allem, was ich sehe eine Idee schöpfe und die Welt unendlich viele Konzepte für uns bereit zu halten scheint. Außerdem ist Inspiration auch eine Frage der Einstellung. Man sollte offen sein, die Welt zu entdecken und Erfahrungen zu sammeln. Allerdings weiß man nie, wann einen die Muse küsst. Schließlich lässt sich nichts erzwingen. Es passiert einfach“, sagt sie.
„Aber das soll nicht heißen, dass ich den ganzen Tag in Blumen und geometrischen Formen denke. Es verhält sich eher wie bei Dichtern und Musikern – meine Kunst ist meine Sprache, um meine Gedanken in etwas Visuelles zu übersetzen“, erklärt sie.
Lacy Barry arbeitet von Hand. Zu ihrer Basisausstattung gehören Lineal, Bleistifte, Schere, eine gute Lampe, ein Falzbein (aus echtem Knochen) und ein Bündel ausgewählter Papiere.
Lacy Barry arbeitet von Hand. Zu ihrer Basisausstattung gehören Lineal, Bleistifte, Schere, eine gute Lampe, ein Falzbein (aus echtem Knochen) und ein Bündel ausgewählter Papiere.
Mit einem Airbrush-Gerät zaubert sie Verläufe oder andere Effekte auf das Papier.
Miniaturen faszinierten die ausgebildete Grafikerin schon als Kind. In dem kleinen Modellzimmer – etwa 30 Zentimeter hoch –, das in ihrem Atelier steht, sieht man den Entwurf eines 3D-Tapetenmusters, das in Zusammenarbeit mit Bloompapers in Barcelona entstand. Seit neuestem gibt es die Entwürfe auch auf Stoff, in Form von Bettbezügen und Wandbildern.
Das innere Kind macht Luftsprünge, wenn man auf einem Regal dieses Mini-Berlin entdeckt. „Berlin Sparkle City“ war ein Winterprojekt. „Es ist gewissermaßen eine visuelle Übersetzung meiner ersten Berlin-Eindrücke. Als ich damals als Touristin ankam, betrachtete ich Berlin aus dem Taxifenster und konnte nicht verstehen, was an dieser abgenutzten Stadt eigentlich so großartig sein soll“, erinnert sich Barry. „Also begann ich, mich mit dieser Stadt zu beschäftigen und tiefer zu graben. Unter den Überresten von Kriegsgeschichte und mit Graffiti besprühten Gebäuden fand ich eine Art Glitzerwelt mit Fake-Stränden und viel Farbe. Die Oberbaumbrücke wählte ich aufgrund ihrer Geschichte mit all ihren Veränderungen, sowohl an ihr selbst als auch in ihrer Umgebung, als Motiv. Die violette Palme gehörte ursprünglich zu einem anderen Projekt, passte aber wunderbar zu dem Eighties-Look“, sagt sie.
Die Miniatur als buntes Portrait der Hauptstadt ist ein gutes Beispiel für Barrys Umgang mit Farbe. Airbrush gehört zu ihren Lieblingstechniken. Auch hier beweist sich Papier wieder als unendlich flexibles Medium.
„Ich merkte ziemlich schnell, was man alles damit machen kann: Man kann Papier zu Skulpturen verarbeiten, es bemalen, es knicken, kleine und – mit Hilfe von Karton – auch große Arbeiten realisieren. Papierkunst ist so besonders, weil das Ergebnis immer etwas clean und surreal wirkt“, sagt sie.
„Ich merkte ziemlich schnell, was man alles damit machen kann: Man kann Papier zu Skulpturen verarbeiten, es bemalen, es knicken, kleine und – mit Hilfe von Karton – auch große Arbeiten realisieren. Papierkunst ist so besonders, weil das Ergebnis immer etwas clean und surreal wirkt“, sagt sie.
Der „Multi-colored Headdress“ aus Papier, Farbe, Karton, Leder und Stofffransen entstand 2013, ursprünglich im Rahmen eines Konzepts für den DJ und Techno-Produzenten Matthew Dear, alias Audion. „Obwohl das geplante Projekt nie realisiert wurde, entschied ich mich weiter daran zu arbeiten. Inspiriert wurde ich von traditionellem indianischen Kopfschmuck, das kommt auch daher, dass ich selbst als Kind in den Rocky Mountains im Westen Kanadas aufwuchs. Das Stück ist eine Art Ode aus meinen Vorlieben für Vergangenes und moderne Techniken, die ich in meiner Arbeit anwende. Seinerzeit schuf ich eine Menge dieser Arbeiten aus Papierfedern. Für mich sind sie ein Symbol der Freiheit.“ Trotzdem hatte Lacy Barry Bedenken, Bilder von diesem Kopfschmuck zu veröffentlichen, da er sich auf die kanadischen Ureinwohner bezieht. „Ich denke, dass extreme politische Korrektheit die visuelle Message der Kunst ersticken oder verfälschen könnte.“
Grundsätzlich haben Lacy Barrys Arbeiten eine sehr selbstbewusste Anmutung. Wie auch bei diesem Kopfschmuck, den man spontan einer modernen Amazone zuschreiben würde. Aufgrund der fantasievollen Farb- und Formspiele macht es Spaß, sie zu betrachten. Gleichzeitig seien alle ihre Arbeiten sehr persönlich, sagt Barry: „In meinen Entwürfen steckt sehr viel von mir selbst. Ich glaube sogar, dass sie mehr über mich erzählen als meine physische Erscheinung.“ Im „Metallic Wing Headpiece“ spiegelt sich unter anderem der Superhelden-Mythos, der die Designerin schon seit Kindesbeinen begeistert.
Erhältlich sind Barrys Werke – jedes ein Unikat – über ausgewählte Shops und Galerien; das 3D-Kunstwerk „Exploding Florals”, 35 mal 45 Zentimeter groß, zum Beispiel über No Sir aus Schweden (1380 Euro).
Auch für den Berliner Süper Store in Kreuzberg hat die Künstlerin schon eine Papierinstallation entworfen. Zu Ostern schmückten die drei zusammenhängenden Werke mit dem Titel „Palma di pasqua“ (Osterpalmen) das Schaufenster.
Ihre neuesten Kreationen entstanden In Zusammenarbeit mit QUEI Studio für die Beirut Design Fair 2016 (Ende Mai). Zwei säulenförmige Skulpturen aus Karton und Papier, die den Titel „Every cloud has a silver lining“ tragen. Eine Redewendung, die an die positive Lebenseinstellung appelliert: „Der Moment, wenn die Sonne den Wolkenrand küsst und ihn damit zum Leuchten bringt. In biblischen Zusammenhängen führten Wolkensäulen die Verirrten ins gelobte Land. Die visuelle Interpretation will sagen, dass in einer Wolke Verzweiflung und in ihrem silbernen Leuchten die Hoffnung liegt“, erklärt Barry.
„Pillar of Gold Fire“, die Feuersäule, ist das Gegenstück zur Wolkensäule.
Unabhängig von ihrer biblischen Bedeutung sind beide Arbeiten faszinierende Papierskulpturen; jede ein Feuerwerk an Farben, Strukturen und Formen – kein Gedanke mehr an das eigentlich profane Ausgangsmaterial.
Mehr Besuche bei faszinierenden Handwerkern, Manufakturen und Künstlern >>>
Unabhängig von ihrer biblischen Bedeutung sind beide Arbeiten faszinierende Papierskulpturen; jede ein Feuerwerk an Farben, Strukturen und Formen – kein Gedanke mehr an das eigentlich profane Ausgangsmaterial.
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