Manufakturbesuch im Erzgebirge: Wo der Weihnachtsmann rot wird
Die Holzfiguren von Wendt & Kühn entstehen im Erzgebirge, sind aber längst auch in Hollywood und Japan Weihnachts-Stars
Nicola Enderle
8. Dezember 2018
Houzz Deutschland, Redakteurin.
Wie man sich schön einrichtet? Ich finde mit viel Persönlichkeit und eigenem Stil, der kann auch gerne schräg sein. Meinem eigenen bin ich auf der Spur – in unserem Houzz-Magazin helfen wir Ihnen Ihren zu finden, zeigen spannende Projekte und blicken durch Schlüssellöcher. Haben Sie ein schönes Zuhause? Erzählen Sie mir davon!
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Das Örtchen Grünhainichen liegt im sächsischen Erzgebirge, ist überaus idyllisch mit all seinen Fachwerkhäusern und Straßen aus Kopfsteinpflaster. Es wirkt gar leicht verschlafen und ab vom Schuss – wäre da nicht die traditionsreiche Manufaktur Wendt & Kühn, die nun schon seit hundert Jahren ihre berühmten lieblichen Figuren und Spieldosen aus Holz herstellt.
In den familiengeführten Werkstätten haben wir zugesehen, wie aus Holzscheiben Engelchen mit gelocktem Haar, muntere Musikanten und Weihnachtsmänner entstehen – und dabei erfahren, wie es die erzgebirgische Handwerkskunst bis nach Hollywood geschafft hat.
In den familiengeführten Werkstätten haben wir zugesehen, wie aus Holzscheiben Engelchen mit gelocktem Haar, muntere Musikanten und Weihnachtsmänner entstehen – und dabei erfahren, wie es die erzgebirgische Handwerkskunst bis nach Hollywood geschafft hat.
Fotos: Uli Kaufmann
Keck hockt er auf dem Schild vor der Manufaktur Wendt & Kühn, lässt die Beine baumeln und musiziert mit seiner Geige: Der „Grünhainichener Engel“, der mit seiner kindhaften Lebendigkeit zum Verkaufsschlager bei Sammlern und Liebhabern aus aller Welt geworden ist. Aber nicht nur er, sondern rund 400 verschiedene liebliche Figürchen und Spieldosen aus Holz umfassen das aktuelle Sortiment des Unternehmens. „Jedes Jahr verlassen alleine 350.000 Engelmusikanten die Werkstätten, jeder einzelne in kleinteiliger Handarbeit. „Der Ursprung liegt im reichen Fundus der familiengeführten Manufaktur begründet“, erzählt uns Cathleen Thiele, die bei Wendt & Kühn im Marketing arbeitet.
Die Erfolgsgeschichte der Holzfiguren begann 1915, als zwei Absolventinnen der Königlich-Sächsischen Kunstgewerbeschule, Grete Wendt und Margarete Kühn, die Holzmanufaktur gründeten. Nachdem Kühn 1920 aus dem Unternehmen ausschied, rückte Wendts Freundin Olly Sommer an ihre Seite, einige Jahre später heiratete diese sogar ihren Bruder. Auf Messen, darunter der Pariser Weltausstellung präsentierten die beiden Frauen ihre Figurengruppen, gewannen sogar eine Goldmedaille. Ein Erfolg, der bis heute anhält. 1923 waren 35 Mitarbeiter in der Manufaktur angestellt, heute sind es rund 195.
Die Manufaktur ist immer noch in dem einst von Grete Kühn erworbenen Fachwerkhaus untergebracht. Mittlerweile wird das Unternehmen in dritter Generation von den Geschwistern Claudia Baer, geborene Wendt, und Florian Wendt geführt. Zukunftsorientiert, aber stets den traditionellen Werten verpflichtet.
Wie aber entstehen nun diese liebevollen Figürchen, von denen seit hundert Jahren eine solche Faszination ausgeht?
Im Holzlager nimmt die Entstehung der Engel, Weihnachtsmänner und Spieldosen ihren Anfang. „Hier verarbeiten wir die zu Brettern geschnittenen Stämme. Gut zwei Jahre lang dauert es, bis daraus erste Kanteln, Leisten oder Rundstäbe für die weitere Bearbeitung gefertigt werden können. Die beziehen wir vom Lieferanten“, so Thiele. Das Holz zu trocknen sei fast schon eine Kunst, es darf schließlich später, wenn es zu Figuren geworden ist, nicht weiterarbeiten.
Im Holzlager nimmt die Entstehung der Engel, Weihnachtsmänner und Spieldosen ihren Anfang. „Hier verarbeiten wir die zu Brettern geschnittenen Stämme. Gut zwei Jahre lang dauert es, bis daraus erste Kanteln, Leisten oder Rundstäbe für die weitere Bearbeitung gefertigt werden können. Die beziehen wir vom Lieferanten“, so Thiele. Das Holz zu trocknen sei fast schon eine Kunst, es darf schließlich später, wenn es zu Figuren geworden ist, nicht weiterarbeiten.
Für die zarten Kunstwerke wird mit vier Holzarten gearbeitet. Linde, Buche, Ahorn und Fichte. Linde und Ahorn sind feinporig und mittelweich und werden bei Figurenteilen eingesetzt, die per Hand gesägt oder geschliffen werden – etwa den Engelarmen, Hüten oder Hosen der Blumenjungen. „Buche ist ein Hartholz und wird vor allem für die Köpfe gebraucht, da man seine glatte Oberfläche fein bemalen kann“, so Thiele. „Fichte klingt. Das hört man schon, wenn man auf ein trockenes Stück Fichtenholz klopft. Daher werden aus dem Nadelholz die Resonanzböden unserer Spieldosen hergestellt.“
Das getrocknete Holz landet zunächst in der Dreherei. Span für Span wird das Holz auf der Drechselbank mit verschiedenen Eisenwerkzeugen bearbeitet. „Unter den Händen der Drechsler entstehen damit die ersten körperhaften Gliedmaße, Schmuckelemente beziehungsweise Kleinteile wie den millimeterkleinen Locken der Engel“, so Thiele. Dazu braucht es Übung, Erfahrung und ein gutes Formgefühl. „Ein Händchen für Holz, im wahrsten Sinne des Wortes.“
Mit der Handdrehbank fing 1917 alles an, mit dem neu entwickelten Halbautomaten in den Dreißigern ging es weiter. Mittlerweile treffen in der Dreherei verschiedene Technik-Generationen aufeinander. Von Handdrehbänken über Halbautomaten mit Fassoneisen bis zu Vollautomaten. „Doch bei aller modernen Technik ist die Kunstfertigkeit der Drechsler unentbehrlich. Der Mensch ist in unserer Manufaktur unersetzbar”, so Thiele. „Anschließend werden die Kleinteile noch geschnitten, gefräst und verschliffen, um so zur endgültigen Form zu gelangen.“
In großen Körben werden die fertigen Teile aus der Drechslerei schließlich in die Leimerei gebracht. Besonders kleine Teile werden zuvor per Hand ausgesucht, beschädigte Stücke dabei aussortiert.
Bis sich nun die feinen Grundformen zu Figuren zusammenfügen, sind weitere Stunden sorgsamer Handarbeit notwendig.
Bis sich nun die feinen Grundformen zu Figuren zusammenfügen, sind weitere Stunden sorgsamer Handarbeit notwendig.
In der Leimerei werden die winzigen, noch ganz naturbelassenen Teile miteinander verklebt. Hier bekommt der „Grünhainichener Engel“ sein Flügelpaar aufgesetzt und der Weihnachtsmann wird mit seinem Sack beladen.
Es braucht Fingerspitzengefühl und ein gutes Auge um die dünnen Blättchen und geschnitzten Röhrchen zu verleimen. „Die Arme und Beine der Engelsfiguren bestehen immer aus mehreren Teilen, so wie Grete Wendt es vorgemacht hat. Damit soll den Figuren Leben eingehaucht werden“, sagt Thiele.
Nachdem die verleimten Figuren mehrere Tage getrocknet wurden, gelangen sie in die Taucherei. Je nach Bestimmung erhalten sie hier kopfüber ihre Grundfarbe. „Das schafft einen gleichmäßig hellen Grund, der den späteren Farbauftrag erstrahlen lässt. Um dabei eine zu starke Farbschicht zu vermeiden, werden die an langen Nadeln aufgesteckten Figuren nach dem Tauchen wie ein Quirl gedreht. Dadurch wird die überflüssige Farbe weggeschleudert, und die entstandene gleichmäßige Grundierung kann im Anschluss aushärten“, erklärt Thiele.
Nochmal zehn Tage dauert es jetzt, bis sich die roten Weihnachtsmänner, weißen Engel, braunen Osterhasen und gelben Blumenkinder aufmachen, um in der „Malerei“ ihr Gesicht zu bekommen.
In der „Malerei“ arbeiten fast nur Frauen. Sie sitzen an langen Werktischen zusammen. Die insgesamt 70 Mitarbeiter verleihen den getauchten Figuren mit ruhiger Hand und feinem Pinselstrich nun die roten Bäckchen der Musikanten, die Mütze des Weihnachtsmannes oder die charakteristischen elf Punkte auf den Flügeln der Engel. Die Farben und Dekore stammen aus den überlieferten Mustern der Gründerinnen, die bis heute den geübten Malerinnen als Vorlage dienen. Über 400 Nuancen verleihen den Figuren ihre Lebendigkeit. „Die Natur diente Grete und Olly Wendt bei der Farbgestaltung der Figuren als Vorbild“, so Thiele. Vergissmeinnichtblau, Eisblau, Regenhimmelblau – kein Blau gleicht dem anderen, und so ist es auch mit allen anderen Farben.
Bevor die handgemischten Farben auf die Figuren aufgetragen werden, müssen sie dem scharfen Blick von Kerstin Lorenz standhalten – sie ist die Meisterin der „Malerei” und überprüft alle Töne auf ihre Richtigkeit. „Das Farbenmischen ist eine Gefühlssache. Es kommt aus dem Bauch heraus.“ Ist es trotzdem erlernbar? „Ja, ich habe das Farbenmischen von der Pike auf gelernt“, erzählt sie. „Dabei habe ich viel ausprobiert: Wie gelange ich zu einem bestimmten Ton, was passiert, wenn man dieses oder jenes dazu mischt“, erzählt Lorenz. „Und dann hieß es Übung, Übung, Übung.“
„Die bekanntesten Figuren sind unsere kleinen Engel mit elf gleichmäßig angeordneten Punkten auf dem Flügelpaar“, so Thiele. Das Grün auf den Flügeln der pummeligen Engelchen ist ein gut gehütetes Geheimnis der erzgebirgischen Manufaktur. „Schließlich wollen alle Engel auf der großen Engelwolke ihre Flügel mit genau demselben Grünton schmücken“, so Lorenz.
Bis auf das Gesicht sind die Figuren nun fertig bemalt. Denn den letzten Arbeitsschritt übernehmen nur eine Handvoll dafür ausgebildete Malerinnen. Nur sie dürfen die geschwungenen Augen, verschmitzten Münder und niedlichen Stupsnasen auftragen. Meisterhaft!
Bevor die bemalten Figürchen fertig sind, werden alle Kunstwerke in der Packerei mit den Initialen „W.u.K.“ am Boden versehen. Danach geht es in den Versand oder in die Läden.
Sie sind nun durch viele Hände gegangen. „Vom Zusammenleimen der Einzelteile bis zur fertig bemalten Figur vergehen um die sechs Wochen“, so Thiele. Etwa 350.000 Musikantenengel produziert der Handwerksbetrieb jedes Jahr.
Sie sind nun durch viele Hände gegangen. „Vom Zusammenleimen der Einzelteile bis zur fertig bemalten Figur vergehen um die sechs Wochen“, so Thiele. Etwa 350.000 Musikantenengel produziert der Handwerksbetrieb jedes Jahr.
Die Nachfrage nach den traditionsreichen Holzfiguren aus dem Erzgebirge ist auch heute, hundert Jahre nach der Gründung groß. Es sind echte Liebhaberstücke. Die einen verknüpfen mit ihnen Kindheitserinnerungen oder Weihnachtsgeschichten. Für manche sind die kindlichen Engel, fröhlichen Musikanten und vollbepackten Weihnachtsmänner aber auch wie kleine Seelsorger, die Geborgenheit und ein Stück heile Welt verbreiten. Und zwar überall auf dem Globus – längst sind die Holzfiguren aus dem Erzgebirge weit über die Grenzen Sachsens hinaus bekannt. Die Manufaktur beliefert etwa 25 japanische Kaufhäuser, sogar beim japanischen Kaiserpaar sollen die Figuren stehen. Königin Silvia von Schweden verteilt aus erzgebirgischen Holzdosen Süßigkeiten an ihre Enkel – und selbst Hollywood hat schon an die Tür geklopft.
„Bereits im Oktober 2012 erreichte die Manufaktur eine Anfrage der Walt Disney Studios, die einen Film über Firmengründer Walt Disney planten. Aus Zeitzeugenberichten ist bekannt, dass Walt Disney ein großer Fan der Wendt & Kühn-Figuren war. Einige der Holzfiguren schmückten sein Arbeitszimmer, welches für den Film möglichst originalgetreu rekonstruiert werden sollte“, so Thiele. Und tatsächlich: Der Film „Saving Mr. Banks“ (erschienen 2013) ist nicht nur mit Tom Hanks und Emma Thompson hochkarätig besetzt, sondern auch mit Figuren von Wendt & Kühn.
Alle Fotos aus der Manufaktur im Profil des Fotografen Uli Kaufmann
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