Was macht eigentlich … eine Stuhlflechterin?
In der Werkstatt von Felicitas Zimehl hängt der Himmel voller Stühle. Sie repariert in Handarbeit alte Flechtstühle. Und rettet Erinnerungen
Eva Bodenmüller
9. Januar 2016
Houzz Deutschland Contributor. Freie Autorin mit Faible für Architektur und Technik, Garten und Kulinarik
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Stuhlsitze und Lehnen können aus vielerlei Material bestehen. Felicitas Zimehl von La Chaise hat sich für Binsen, Rattan und Papier entschieden. Sie ist Stuhlflechterin aus Leidenschaft. Alte Stühle, Flohmarktfunde, Erbstücke – sie alle erweckt Zimehl in ihrer Werkstatt zu neuem Glanz. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn sie leimt und poliert die Stühle auch. So entstehen wahre Schmuckstücke.
„Für mich sind Stühle etwas Wunderbares“, sagt Zimehl. Zu ihr kommen Menschen, die diese Begeisterung teilen, einen Anspruch an Qualität haben und alte Handwerkskunst zu schätzen wissen. Dabei ist es ganz unterschiedlich, in welchem Zustand ein alter Stuhl bei der Stuhlflechterin eintrifft. „Die Schmerzgrenzen liegen hier weit auseinander. Manche Kunden bringen Stühle erst, wenn selbst das Kissen auf dem Geflecht nicht mehr hält. Andere kommen bereits, wenn das Geflecht nur leicht ausgebeult ist“, erklärt sie. Es gibt aber auch Fälle, in denen vom Geflecht nichts mehr zu sehen ist. Vor allem dann ist die künstlerische Ader der Stuhlflechterin gefragt.
In ihrer Werkstatt in Mainz fertigt Zimehl alle Arten von Geflechten. „Am meisten wird das Wiener Geflecht nachgefragt“, sagt sie. Es gilt als das stabilste Geflecht und wird beispielsweise auch bei den berühmten Kaffeehausstühlen von Thonet verwendet. Sie beherrscht aber auch andere Flechtarten wie die dekorativen Diamant- oder Sternengeflechte. Diese sind sehr fragil und eignen sich daher nicht für Sitzflächen von Stühlen. Sie zieren zum Beispiel Heizkörperverkleidungen oder Rückenlehnen, die nicht beansprucht werden.
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Auch das Flechtwerk der beliebten dänischen Stühle aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, etwa dem „Y-Chair“ von Hans J. Wegner, ist für Zimehl ein Kinderspiel. Hierfür wird eine reißfeste Papierschnur verwendet. Sie ist sehr haltbar, sollte aber nicht nass werden.
„Für einen Stuhl brauche ich etwa einen Tag“, erläutert Zimehl. Bei größeren Sitzflächen, Stühlen mit Lehnen oder bei Sofas dauert es länger. Damit spricht sie direkt eine der wichtigsten Eigenschaften eines Stuhlflechters an: Geduld. „Nach den ersten Versuchen ist das Prinzip des Geflechts klar. Dann erfordert es vor allem Ausdauer, bis das Werk fertig ist“, erklärt Zimehl. Sie beherrscht ihr Handwerk mittlerweile quasi im Schlaf: „Manchmal schaue ich fast nicht mehr hin.“ Das heißt allerdings nicht, dass sie nicht größte Sorgfalt auf jedes Stück verwendet.
Diese Sorgfalt fängt schon bei der Wahl des Materials an. Zimehl verwendet für ihr Rattangeflecht zwei Meter lange Rattanfäden aus Indonesien. Sie werden aus der Rinde der Rattanpalme gewonnen.
Der Faden wird so lange über die Stuhlfläche und durch die Löcher im Rahmen geflochten, bis nur noch ein kleines Stückchen übrig ist. Das wird dann am letzten verwendeten Loch verknotet. Erst dann greift Zimehl zum nächsten Faden. „Ich leime die Fäden am Ende nicht in die Löcher. Denn dadurch würde es schwerer werden, das Geflecht bei der nächsten Reparatur zu entfernen“, erläutert sie.
Der Faden wird so lange über die Stuhlfläche und durch die Löcher im Rahmen geflochten, bis nur noch ein kleines Stückchen übrig ist. Das wird dann am letzten verwendeten Loch verknotet. Erst dann greift Zimehl zum nächsten Faden. „Ich leime die Fäden am Ende nicht in die Löcher. Denn dadurch würde es schwerer werden, das Geflecht bei der nächsten Reparatur zu entfernen“, erläutert sie.
Wie jedes gute Handwerk hat auch das Stuhlflechten seinen Preis. Allerdings ist es nicht unerschwinglich, wie Zimehl betont. „Mir kommt es darauf an, schöne Dinge zu erhalten.“ Wenn aus dem Sperrmüllfund wieder ein brauchbares Möbel geworden ist, freut das die Stuhlflechterin. „So wie ich mit meinem Beruf glücklich bin, sollen auch meine Kunden mit ihren restaurierten Möbeln glücklich sein.“
Tatsächlich hängen meist Erinnerungen an den Stühlen, die in ihrer Werkstatt landen. Der ideelle Wert übersteigt oft den tatsächlichen Marktwert. Andererseits würde ein Stuhl gleicher Qualität, in fairer Handarbeit hergestellt, heute sicher mehr kosten, als eine Reparatur.
Zimehl hat sich das Handwerk der Stuhlflechterin selbst angeeignet. Der Verein Flechtwerk war eine Anlaufstelle, ihren Wissensdurst zu stillen und Kenntnisse zu erwerben. Ihre Leidenschaft für Stühle und die Freude am Flechten waren der Auslöser, sich selbstständig zu machen.
Zimehl hat sich das Handwerk der Stuhlflechterin selbst angeeignet. Der Verein Flechtwerk war eine Anlaufstelle, ihren Wissensdurst zu stillen und Kenntnisse zu erwerben. Ihre Leidenschaft für Stühle und die Freude am Flechten waren der Auslöser, sich selbstständig zu machen.
Bei Zimehl ist alles Handarbeit. Es gibt aber auch fertig gewebte Matten. „Das ist absolut kein Qualitätskriterium“, betont Zimehl. Die vorgefertigten Matten werden vor allem von großen Herstellern in der industriellen Produktion eingesetzt und in einer komplett anderen Technik verarbeitet. Dabei werden die Matten in eine Nut in den Rahmen des Stuhlsitzes geklemmt und eventuell noch mit einem Keder versehen. In dieser Art werden etwa die Sitzflächen und Rückenlehnen der berühmten Freischwinger „S 32“ von Marcel Breuer gefertigt.
Mit der richtigen Pflege können Stühle mit Rattangeflecht gut fünfzehn Jahre benutzt werden, bevor das Geflecht erneuert werden muss. „Rattan ist ein natürliches Material aus indonesischen Regenwäldern. Hier herrscht ein feuchtes Klima. Daher ist es auch für das Geflecht aus Rattan gut, wenn es gelegentlich im Nebel steht oder mit einem nebelfeuchten Tuch abgewischt wird“, rät die Stuhlflechterin. Heizungsluft dagegen wirkt eher schädlich. Sie macht das Material spröde und brüchig. Auch im Gebrauch ist ein wenig Achtsamkeit vonnöten. Punktuelle Belastungen, wie auf dem Sitz zu knien oder den Stuhl als Leiter zu benutzen, verkürzen die Lebensdauer des Geflechts.
Nicht immer ist auf den ersten Blick sichtbar, welches edle Möbelstück der Kunde in die Hände von Zimehl gibt. „Eine Kundin hat mir einmal einen Schaukelstuhl gebracht, der statt des Geflechts eine ziemlich hässliche Polsterung hatte“, erzählt Zimehl. Sie wollte den Auftrag fast ablehnen. Doch die Kundin hing an dem Erbstück und so nahm sich Zimehl des Schaukelstuhls an. „Bei diesem Stück war ich am Ende selbst überrascht, wie schön dieses vorher so unscheinbare Teil geworden war. Die Kundin hatte bei der Abholung Tränen in den Augen. In solchen Momenten bin ich mir sicher, dass ich den richtigen Beruf habe.“
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Was macht eigentlich … ein Holzmöbelrestaurator?
Möbel polstern: Eine Expertin erklärt die Handwerkskunst
Alle Artikel über die Arbeit von und mit Experten rund ums Wohnen
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so richtiges Handwerk finde ich wahnsinnig spannend, toller Beruf! Und wie schön, dass sich gerade alte Stühle so wunderbar restaurieren lassen.
Wir haben vor kurzem bei la Chaise zwei Stühle abgegeben zur Reparratur. Eine sehr nette und äußerst kompetente Person mit sehr großer Leidenschaft für ihr Handwerk und Liebe zum Detail. Ich kann es nur empfehlen!
Danke, dass Sie diese Erfahrung teilen :-) das ist schön zu hören! Vielleicht wollen Sie ihre positive Bewertung auch noch direkt im Profil von Frau Zimehl/La Chaise abgeben, damit sie gleich für jeden ersichtlich ist, der gerade auf der Expertensuche ist? Dazu einfach oben auf "jetzt bewerten" klicken. Herzliche Grüße!