Manufakturbesuch: Die Porzellan-Flüsterin und ihre weiße Kunst
Feinkeramik in Handarbeit: Bei „Feinesweißes“ in Berlin stellt Katy Jung edle Unikate und Kleinserien aus Porzellan her
Eva Zimmermann
21. April 2017
Journalistin mit Architektur-Diplom und Vorliebe für weniger – und manchmal auch mehr.
Journalistin mit Architektur-Diplom und Vorliebe für weniger – und manchmal auch... Mehr
Es ist Nachmittag in Berlin, Prenzlauer Berg. Die Sonne scheint durch große, schwarz gerahmte Ladenfenster und es liegt ein angenehm mineralischer Geruch in der Luft. Wir sitzen zum Interview an einem Ateliertisch, der Katy Jung sonst zum Arbeiten dient. Hier entstehen in bis zu zwölf einzelnen Schritten Porzellangefäße, die minimalistisch und elegant zugleich sind. 20 Jahre Erfahrung hat die diplomierte Keramikdesignerin inzwischen mit der weißen Feinkeramik und übt ein Handwerk aus, das nicht mehr viele beherrschen. Katy Jung allerdings kennt und liebt die zickige Diva unter den Keramikwerkstoffen und ist mit ihr per Du.
Fotos: Inga Masche
Fotos: Inga Masche
Die Frage nach dem Beginn einer Leidenschaft zieht oft komplexe Antworten nach sich. Wie und wo hat Katy Jungs Weg mit dem Porzellan begonnen? „Auf Umwegen“, sagt sie. „Schon als Kind habe ich mich in ein Porzellan-Service meiner Großmutter aus den Zwanzigerjahren mit Klatschmohndekor verliebt und dachte, so etwas schönes willst du auch mal machen.“ Doch nach dem Abitur ließ sich Jung, die 1974 in Thüringen geboren wurde, zunächst in ihrem Heimatbundesland in Empfertshausen zur Holzbildhauerin ausbilden. Danach ging es zum Studium an die Burg, wie man die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle unter Gestaltern liebevoll nennt. Jung studierte hier im Fachbereich Keramik und Glasdesign und arbeitete schon während des Studiums mit Porzellanmanufakturen zusammen. Gleich nach ihrem Abschluss machte sie sich selbstständig und gründete 2004 gründete ihre eigene Werkstatt.
2004 bezog Jung ihre erste eigene Werkstatt in Berlin-Lichtenberg, Jung-Porzellan. Ihre Arbeiten brachte sie vor allem durch Händler- und Verbrauchermessen an Mann und Frau. 2014 gründete sie Feinesweißes und eröffnete ihren Laden mit angeschlossener Werkstatt in der Lychener Straße. Inzwischen gibt es ihr Porzellan ausschließlich hier und eine Auswahl in zwei anderen Berliner Läden, bei Muoto in der Dieffenbachstraße in Kreuzberg und im Adlon to go Coffee Shop am Pariser Platz.
Während des Interviews ist die Ladentür abgeschlossen, doch das hält Kunden nicht davon ab, anzuklopfen und zu fragen, wann Jung wieder geöffnet habe. Von Langeweile ist hier also keine Spur, weder, was Jungs Geschäftsmodell angeht, noch, was die Arbeit mit dem Material betrifft. „Porzellan ist ein faszinierendes Material. Die Arbeit damit stellt immer wieder eine Herausforderung dar, und auch nach vielen Jahren Erfahrung ist es jedes Mal spannend, wenn ich den Ofen aufmache“, sagt sie.
Im Bild: Katy Jung gießt flüssige Porzellanmasse in Negativformen.
Im Bild: Katy Jung gießt flüssige Porzellanmasse in Negativformen.
Im Laden sein und entwerfen, das lasse sich nicht voneinander trennen, erzählt Katy Jung weiter. „Das ist ein fortlaufender Prozess. Auch während ich hier etwas umstelle oder dort neu eindekoriere, habe ich vielleicht eine Idee. Ich bin ja ständig von diesen Dingen umgeben und denke über sie nach. Der Austausch mit meinen Kunden kommt auch hinzu.
Wie Arbeit fühlt sich das was ich tue nicht an. Es ist eher Freude und Leidenschaft.“
Wie Arbeit fühlt sich das was ich tue nicht an. Es ist eher Freude und Leidenschaft.“
Der riesige Bottich in der Werkstatt von Feinesweißes ist voll mit flüssigem Porzellan. Täglich wird die Masse einmal umgerührt und hält so viele Monate, bis sie verbraucht ist. „Dreimal im Jahr mische ich neuen Schlicker an“, so Jung. „Die Rohstoffe werden in Säcken angeliefert und mit Wasser angesetzt.“
Aber nicht etwa besagter Schlicker steht am Anfang eines Entwicklungsprozesses, sondern der Gips, aus dem die Positivform hergestellt wird. „Ich liebe Gips“, sagt Jung, „weil er so exakt und präzise ist.“ Einen neuen Entwurf arbeitet sie mit dem Abdreheisen an einer Drehscheibe heraus. Dabei muss sie eine Schwindung des Porzellans um bis zu 18 Prozent einkalkulieren und das Modell entsprechend größer herstellen, als das Stück am Ende sein soll.
Wenn das Positiv fertig ist, wird sie schellackiert. Danach gießt Jung es in Gips ein und erhält so die Negativform, oben im Bild. Bis zu 100 Eingüsse können mit einer solchen Form gemacht werden. Danach wird aus dem Positiv, das sie im Lager aufbewahrt, die nächste Negativform hergestellt.
Aber nicht etwa besagter Schlicker steht am Anfang eines Entwicklungsprozesses, sondern der Gips, aus dem die Positivform hergestellt wird. „Ich liebe Gips“, sagt Jung, „weil er so exakt und präzise ist.“ Einen neuen Entwurf arbeitet sie mit dem Abdreheisen an einer Drehscheibe heraus. Dabei muss sie eine Schwindung des Porzellans um bis zu 18 Prozent einkalkulieren und das Modell entsprechend größer herstellen, als das Stück am Ende sein soll.
Wenn das Positiv fertig ist, wird sie schellackiert. Danach gießt Jung es in Gips ein und erhält so die Negativform, oben im Bild. Bis zu 100 Eingüsse können mit einer solchen Form gemacht werden. Danach wird aus dem Positiv, das sie im Lager aufbewahrt, die nächste Negativform hergestellt.
Im nächsten Herstellungsschritt wird die flüssige Keramikmasse in die Form gegossen. Der Gips entzieht dem Schlicker Feuchtigkeit, wodurch die Masse an den Wänden der Form anbindet. So entsteht der Scherben. Je länger man mit dem Ausgießen wartet, je länger also die „Standzeit“, desto dickwandiger ist das Gefäß am Ende.
Nach einer Trocknungsphase…
…bearbeitet Jung den Scherben. Dies ist die Phase des Retuschierens, die bereits beginnt, wenn das Stück sich noch in der Form befindet.
Auch nach dem Auschalen retuschiert Katy Jung Grate und leichte Unebenheiten. Beim sogenannten Schrühbrand, wird der Scherben bei einer Temperatur von 900 Grad Celsius vorgebrannt. Die letzte Restflüssigkeit weicht jetzt aus dem Werkstück. Kommt es aus dem Ofen, ist es leicht rosefarben, noch porös und fest genug zum Glasieren. Jung arbeitet ausschließlich mit transparenter Glasuren und spielt in ihren Objekten mit glänzenden und matten Oberflächen. Der nun folgende Glattbrand hat eine Temperatur von 1300 Grad und dauert sechs bis sieben Stunden. Kommen die Stücke danach aus dem Ofen, leuchten sie in reinem, porzellantypischen Weiß. Bei unglasierten Oberflächen spricht man von Biskuitporzellan.
Im Bild: Die Seifenschale „Seifenoper“ in Rohform.
Im Bild: Die Seifenschale „Seifenoper“ in Rohform.
Und so sieht die Form nach drei Bränden aus – Schrüh, Hart- und Aufglasurbrand. Der Schriftzug gibt Hinweise auf die die Funktion. Die Seifenoper-Schale kostet 26 Euro.
Ist das Tonware, Steinzeug oder Porzellan? Keramik im Kurzporträt
Ist das Tonware, Steinzeug oder Porzellan? Keramik im Kurzporträt
„Im Grunde gibt es für jeden Arbeitsschritt, den ich hier mache, in einer Manufaktur einen eigenen Beruf“, sagt Jung. Als vor etwas mehr als 300 das europäische Porzellan erfunden und in Meißen die erste Manufaktur entstand, war der Herstellungsprozess nicht anders als heute in dem kleinen Werkstattatelier im Prenzlauer Berg. Jung ist also Teil einer sehr alten Handwerkstradition.
Was bei Meißner Porzellan die gekreuzten Kurschwerter sind, ist bei Feinesweißes der gepunktete Kreis. Ihre Bodenmarke stempelt Jung vor dem zweiten Glasurbrand auf die Böden ihrer Formen.
Was bei Meißner Porzellan die gekreuzten Kurschwerter sind, ist bei Feinesweißes der gepunktete Kreis. Ihre Bodenmarke stempelt Jung vor dem zweiten Glasurbrand auf die Böden ihrer Formen.
Fehlermachen ist übrigens bei der Arbeit mit Feinkeramik verboten. „Man nennt Porzellan auch die Diva unter den Keramikwerkstoffen, weil das Material nichts vergisst“, so Jung. Jede Delle, je Macke, die man auszugleichen versucht und die zwischendurch verschwunden scheint, kommt spätestens beim Brand wieder zum Vorschein. „Beim Glattbrand schmilzt das Porzellan auf. Bei der sogenannten Sinterung oder Verglasung des Materials
kann sich alles verformen und Fehler aus dem Arbeitsprozess werden wieder sichtbar.“
Im Bild: Kerzenhalter, ab 26 Euro.
kann sich alles verformen und Fehler aus dem Arbeitsprozess werden wieder sichtbar.“
Im Bild: Kerzenhalter, ab 26 Euro.
Gerne bespricht Katy Jung ihre Entwürfe mit Freunden. Wie es schöpferische Arbeit oft mit sich bringt, ist sie Teil eines kreativen Netzwerks aus Produktdesignern, Journalisten, Keramikern und Illustratoren, mit denen sie in regem Austausch steht. Derzeit erweitert Jung ihre Tisch- und Tafelkollektion.
Das Porzellan bei Feinesweißes ist schlicht und funktional, und darf trotzdem ab und zu verspielt sein. Dafür sorgen in der Regel die Dekore.
Im Bild: Vase für einzelne Blumen, in Flaschenform.
Das Porzellan bei Feinesweißes ist schlicht und funktional, und darf trotzdem ab und zu verspielt sein. Dafür sorgen in der Regel die Dekore.
Im Bild: Vase für einzelne Blumen, in Flaschenform.
Das Weiß ist gesetzt, weil Porzellan nun einmal weiß ist und Jung das Material unverfälscht einsetzt. Aber kleine Dekorspielereien gibt es hier und da. Das können Schriftzüge oder kleine Muster wie die Kirschen oben sein. „Dekore trage ich im Siebdruckverfahren oder per Stempel auf. Sie werden in einem dritten Brand, einem weiteren Aufglasubrand bei circa 850 Grad Celsius mit der Glasur verschmolzen“, erklärt Jung.
Lust auf ein Unikat? Im Laden von Feinesweißes kann man sich zum Beispiel Etageren aus einzelnen Porzellanplatten zusammenstellen. Dafür hält Jung verschiedene Größen und Platten in Weiß oder mit Dekor bereit.
Personalisierungen und Sonderanfertigungen sind ebenso Teil von Jungs Angebot. Dafür braucht sie eine Vorlaufzeit von drei bis vier Wochen.
Personalisierungen und Sonderanfertigungen sind ebenso Teil von Jungs Angebot. Dafür braucht sie eine Vorlaufzeit von drei bis vier Wochen.
Die Vase Snoopy gibt es für die Wand oder den Tisch und kostet 68 Euro.
Nicht nur im Laden, auch zuhause umgibt sich Jung mit ihren Objekten. Da stehen aber dann auch Stücke von Kollegen, die sie liebt, Geerbtes und Sachen vom Flohmarkt in wilder Mischung. Besteht denn die Gefahr, sich auf Dauer an den eigenen Entwürfen sattzusehen? „Nein, die Sachen werden mir nicht über“, sagt Jung. „Im Gegenteil. Ich finde es super mitzukriegen, dass sie funktionieren.“ Die bewusste Formschlichtheit trägt sicherlich das ihre dazu bei.
Extra für Schmuck, Pralinen und andere edle Dinge hat Jung „kostbar“ und „Glück“ designt. Keine der organisch geformten Schalen gleicht der anderen. Sie sind innen transparent glasiert, außen poliert und in mattem Biskuitporzellan gehalten und kosten 20 Euro das Stück.
Pflegehinweis: SämtlicheGefäße von Feinesweißes sind spülmaschinenfest, die Dekore sind dicht mit der Glasur verschmolzen und lebensmittelecht.
Hartnäckigere Verschmutzungen auf den unglasierten Flächen lassen sich gut mit einem feuchten Radierschwamm entfernen.
Hartnäckigere Verschmutzungen auf den unglasierten Flächen lassen sich gut mit einem feuchten Radierschwamm entfernen.
Schon lange hat Jung eine solide Stammkundschaft. Die meisten Leute kommen, um Geschenke zu kaufen, und schätzen die Geradlinigkeit, Modernität und den Humor ihrer Entwürfe. Früher konnte man auch an der Kunsthochschule Weissensee noch Keramikdesign studieren. Inzwischen ist nur die Burg als Ausbildungsstätte für Keramik und Glasdesign übrig. Aber Orte wie Katy Jungs Manufaktur lassen die Kunst der händischen Porzellanherstellung weiterleben. Und um diese Designerin brauchen wir uns ob ihres Ideenreichtums wirklich keine Sorgen zu machen.
Weitere Besuche in der Manufaktur
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Stimme zu, ein sehr guter Artikel! Übrigens: Auch an der Hochschule Niederrhein in Krefeld gibt es im Studiengang Design die Möglichkeit, das Handwerk rund um Porzellan, Ton und Glas zu erlernen.
Die Firmen an der Porzellanstrasse (Suedosten) unterhalten in den originalen Raeumen teilweise noch Museen. Dort werden z.B die einzelnen Verarbeitungsschritte gezeigt. Wer sich fuer das Material interessiert, koennte dort einen Zwischenstopp einlegen.
schönes Geschäft , fahre heute gleich mal hin gucken, danke Houzz