Houzzbesuch
Houzzbesuch: Polsterbox und Farbnischen für ein Heidelberger Haus
Komplett entkernt und neu organisiert: Ein Haus im Sechzigerstil wird mit pfiffigen Einbauten zum hellen Familienheim
Nichts ist so beständig wie der Wandel, wusste schon Heraklit. Und das Heidelberger Wohnhaus einer vierköpfigen Familie ist der steinerne Beweis dieser These. 1906 errichtet, war es einst klassisch aufgebaut und wurde ebenso klassisch über eine Eingangshalle erschlossen. Zwei große Umbauphasen später sieht das ganz anders aus. Die erste lag in den Sechzigerjahren, als es nach den Vorstellungen der Nachkriegsmoderne stark modifiziert wurde, die zweite nahm Architektin Carina Krey von Radiusplus 2010 in die Hand. Sie ließ den Bau, der holzschutzmittelblastet war, komplett entkernen und kehrte das Erschließungskonzept um. „Invers“ nennt sie die heutige Organisation des Hauses um eine zentrale Funktionsbox herum, die den Wohnraum zum Fließen bringt.
In den Sechzigerjahren kam dann die Radikalkur. Das Walmdach wurde abgetragen, ein weiteres Geschoss aufgemauert und mit einem Flachdach abgeschlossen, selbst die Fenster wurden völlig neu angeordnet. Nur der Erker unten links lässt noch erkennen, dass wir es tatsächlich mit demselben Gebäude zu tun haben. In dieser Form erwarb es die Bauherrenfamilie.
Nach dem Umbau durch Radiusplus hat sich das Haus ein zweites Mal radikal verändert. Den Erker als Rudiment aus vergangenen Zeiten hat Architektin Carina Krey außen wie innen gestalterisch hervorgehoben.
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Doch vorher war einiges zu tun. Erste Amtshandlung der Architektin war es, die belasteten Holzdecken zu entfernen. Danach wirkte der Bau wie eine Kathedrale, über drei Etagen offen, in der Krey ihre Räume völlig neu organisieren konnte.
Die Leitidee für den Umbau bestand darin, den Raum so weit als möglich offen und durchlässig zu gestalten. Um dennoch einzelne Bereiche entstehen zu lassen, ersann Carina Krey eine zentrale Raumbox, die mit beigefarbenem Veloursstoff gepolstert wurde und verschiedene Funktionen in sich vereint.
Insgesamt vier Etagen hat das Haus. Das Untergeschoss beherbergt zur Hälfte einen multifunktionalen Gästebereich mit Sauna, zur anderen Hälfte einen Kaltkeller. In den Sechzigern war hier ein Schwimmbad eingebaut worden, das Krey wieder entfernen ließ, um die Kellerfläche in diesem Bereich zu reduzieren und so den Garten anzubinden. Darüber befindet sich das Erdgeschoss (im Bild) mit Küche, Essbereich und Wohnen. Im ersten Stock sind die Schlafzimmer untergebracht und im zweiten Obergeschoss liegt heute eine Mietwohnung.
Insgesamt vier Etagen hat das Haus. Das Untergeschoss beherbergt zur Hälfte einen multifunktionalen Gästebereich mit Sauna, zur anderen Hälfte einen Kaltkeller. In den Sechzigern war hier ein Schwimmbad eingebaut worden, das Krey wieder entfernen ließ, um die Kellerfläche in diesem Bereich zu reduzieren und so den Garten anzubinden. Darüber befindet sich das Erdgeschoss (im Bild) mit Küche, Essbereich und Wohnen. Im ersten Stock sind die Schlafzimmer untergebracht und im zweiten Obergeschoss liegt heute eine Mietwohnung.
Im Grundriss ist gut zu erkennen, wie der Raum, ganz im Sinne von Kreys Vision, um die zentrale Box herum fließt: „Ich wollte einen offenen Großraum“, sagt sie, „in dem gefühlt nur der Polsterwürfel steht. Ziel war, den vier Seiten Grundthemen zuzuordnen und innerhalb dieser Grundthemen eine Zonierung zu erzeugen.“
Wohnzimmerseitig zeigt die Polsterbox dieses Gesicht. Magentafarben wird der Kamin eingefasst, helle Blautöne schaffen in den Regalnischen einen Komplementärkontrast dazu. Die anderen Oberflächen sind gepolstert und mit Veloursstoff bezogen. „Vielen Bauherren fehlt der Mut zur Farbe. Hier war das anders“, sagt Krey, die sich bei der Wahl des passenden Bezugsstoffes die meiste Zeit ließ. „Auf Basis des ruhigen Bodens und des ebenso ruhigen Polsterstoffes habe ich sehr gerne mit Farbtupfern gearbeitet und sie eigentlich immer nach Gefühl ausgewählt.“
Die Box übernimmt aber auch noch andere Funktionen: Im Eingangsbereich beherbergt sie einen Garderobenschrank. Von der Küche aus ist die Vorratskammer in ihrem Inneren erreichbar und auf der vierten Seite hat Krey eine Arbeitsnische einbauen lassen. Getischlert wurde das Maßmöbel von der MTB-Schreinerei in Edingen.
Die Box übernimmt aber auch noch andere Funktionen: Im Eingangsbereich beherbergt sie einen Garderobenschrank. Von der Küche aus ist die Vorratskammer in ihrem Inneren erreichbar und auf der vierten Seite hat Krey eine Arbeitsnische einbauen lassen. Getischlert wurde das Maßmöbel von der MTB-Schreinerei in Edingen.
Hier geht es zur Vorratskammer. Links befindet sich der große Esstisch mit Platz für die vierköpfige Familie und eine Hand voll Gäste.
Die neu eingezogenen Decken bestehen aus Sichtbeton, den Krey unverspachtelt weiß anstreichen ließ. Auf dem Boden sind 13 Meter lange Eichendielen ohne Stoß verlegt. Sie wurden mit leicht pigmentiertem Öl behandelt.
„Eigentlich wollten die Bauherren keine offene Küche, weil solche oft den ganzen Wohnbereich bestimmen“, sagt Krey. „Ich allerdings hielt es für keine gute Idee, eine Wand einzuziehen, die an den Würfel stoßen würde. Die Lösung bestand schließlich darin, die Küche so zu bauen, dass die Geräte hinter geschlossenen Schränken verschwinden oder sich auf der Rückseite der Kücheninsel befinden.“
Alle Küchenschränke sind im Inneren gelb. Wie Krey zu ihren Farben kommt, kann sie selbst nicht genau sagen. Sie wählte die einzelnen Farbtöne spontan in der Schreinerei aus.
Der Erker leuchtet heute in Orange. Nebenan ordnete Krey einen Lese-Alkoven mit Bücherregal an. Hier stehen die Bände, die gerade gelesen werden, während sich im Kellergeschoss die große Hausbibliothek befindet.
Moderne Erker: Mehr Raum, mehr Licht – und ein Ausblick für die Götter
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Als letzter Zeuge dessen, wie das Haus einmal aussah, bekam der Erker eine farbige Sonderbehandlung und ist als gemütliche Sitznische gestaltet. „Der Erker sollte in seiner Eigenartigkeit auf jeden Fall erhalten bleiben und gleichzeitig eine heimelige Ecke werden. Wir haben ihn daher extra mit Campari-Orange betont und versucht, ihn durch Farbe und Ausstattung etwas überhöht auszuformulieren“, sagt Krey.
Die Decke des Alkovens ist mit Ausschnitten aus Magazinen tapeziert. Für diesen warmen Farbtupfer entschied sich die Architektin als Gegenpol zum reinweißen Licht, das aus den kreisrunden Öffnungen in den Gipskartonwänden strömt. Ein dicker Flokati und große Kissen machen das Plateau zur gemütlichen Liegefläche. In den Schubladen darunter sind Wolldecken und Kissen untergebracht.
Kleine Gimmicks wie die Herzchenausschnitte an den Schubladen haben es Krey angetan. Auch die Familie freut sich an der liebevollen Ausgestaltung.
Von Wohnbereich besteht eine Blickverbindung zum Treppenhaus.
Gleich neben der Treppe liegt auch der Haupteingang des Hauses. In einem Spiegelpaneel zwischen Windfang und Aufgang ist der Polsterwürfel noch einmal zu sehen.
Im ersten Obergeschoss birgt ein geschwungener Einbau das Reich der Kinder, deren Zimmer durch die oben fortgesetzte Wohnbox inklusive Wandschrank in eigene Bereiche geteilt sind. Hinzu kommt ein Kinderbad. Linkerhand befinden sich das Elternschlafzimmer nebst Bad en Suite und Ankleide. Auch hier fehlt es nicht an kleinen, feinen Ideen: Teils dienen die Kreisausschnitte als Schrankgriffe, teils als Rahmen für Familienfotos.
Wie im Erdgeschoss hat Carina Krey auch im Obergeschoss das Prinzip der Raumbox angewandt.
Das Elternschlafzimmer ist ruhig und zurückhaltend gestaltet. Ein umlaufender Einbauschrank in Fensterbrüstungshöhe sorgt für viel Stauraum, ohne den Raum in seiner Weite zu beeinträchtigen.
En suite gelangt man in das angrenzende Bad. Eine freistehende Wanne ist teils in das Einbauschrankelement eingelassen.
Die Gartenansicht zeigt: Auch im Untergeschoss gibt es dank bodentiefer Fenster helle Wohnräume. So lässt es sich auf allen Etagen hell und freundlich – und mit Weite – leben.
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Hier wohnen: zwei vierköpfige Familien
Auf: 450 Quadratmetern, 125 Quadratmeter pro Geschoss plus ein halbes Kellergeschoss
In: einem mehrfach umgebauten und modernisierten Haus von 1906 in Heidelberg
Architektin: Carina Krey von Radiusplus
Wie gut, wenn man eine Architektin kennt, die gleichzeitig auch Baubiologin ist, so wie Carina Krey. Als sie mit der Umgestaltung des Hauses im Sechzigerjahre-Stil beauftragt wurde, stellte sie eine Diagnose, die weitreichende Folgen für den Verlauf der restlichen Planung haben sollte. „Die alten Decken waren mit einem extrem giftigen Holzschutzmittel behandelt. Heute weiß man, dass dieses Mittel ein Nervengift enthält, das auch über Jahrzehnte nicht verfliegt“, sagt Krey.
Doch die Geschichte des Gebäudes beginnt um einiges früher, im Jahr 1906, um genau zu sein, als typischer Villenbau.