Houzzbesuch: It's brutiful! Eine Architekten-WG in Beton
Das Brandlhuber-Haus in Berlin brachte einst die Architekturszene zum Beben. Drin lebt jetzt eine sehr besondere Wohngemeinschaft …
„Heute morgen hat mich Niklas Maak geweckt“, erzählt mir Sam Chermayeff, während wir sein Studio in der Brunnenstraße besichtigen. Maak, der Leiter des Kunstressorts der FAZ, Architekturkritiker. Er kam einfach die Treppe rauf, denn ein Stockwerk tiefer hat der Architekt Arno Brandlhuber sein Büro, und ein Stockwerk weiter oben wohnt Brandlhuber selbst. Türen? Fehlanzeige. Das Haus gehört Arno Brandlhuber, und alles ist offen. Auch, wer einen morgens aus dem Bett holt.
Sam stammt aus New York, ist 33 und hat sein eigenes Architekturbüro in Kreuzberg. Vorher arbeitete er sechs Jahre lang für Sanaa in Japan. Als er bei der Biennale in Venedig deren Ausstellungsbeitrag kurartierte, traf er Brandlhuber. „Thomas Demand hat uns vorgestellt. Seitdem sind wir Freunde.“ Demand, vielleicht einer der wichtigsten zeitgenössischen deutschen Künstler. Dann, im Herbst 2013, trennten sich Brandlhuber und Chermayeff zufällig in derselben Zeit von ihren Freundinnen. Das Studio in Brandlhubers Haus wurde frei, und ein zog Sam. Hier die Geschichte einer Architekten-Freundschaft. Selbstredend in Gestalt von Architektur.
Hier wohnt: Sam Chermayeff, Architekt aus New York
Auf: 48 Quadratmetern
In: einem Galerie- und Atelierhaus in Berlin-Mitte
Sam stammt aus New York, ist 33 und hat sein eigenes Architekturbüro in Kreuzberg. Vorher arbeitete er sechs Jahre lang für Sanaa in Japan. Als er bei der Biennale in Venedig deren Ausstellungsbeitrag kurartierte, traf er Brandlhuber. „Thomas Demand hat uns vorgestellt. Seitdem sind wir Freunde.“ Demand, vielleicht einer der wichtigsten zeitgenössischen deutschen Künstler. Dann, im Herbst 2013, trennten sich Brandlhuber und Chermayeff zufällig in derselben Zeit von ihren Freundinnen. Das Studio in Brandlhubers Haus wurde frei, und ein zog Sam. Hier die Geschichte einer Architekten-Freundschaft. Selbstredend in Gestalt von Architektur.
Hier wohnt: Sam Chermayeff, Architekt aus New York
Auf: 48 Quadratmetern
In: einem Galerie- und Atelierhaus in Berlin-Mitte
Sam Chermayeff, Architekt und einer der beiden Chefs des Büros June14 Meyer-Grohbrügge & Chermayeff, in seinem Schlafzimmer. Auf dem Bett liegen nicht etwa die Überbleibsel einer durchfeierten Nacht, sondern die Bestandteile eines Kunstwerkes von Carly Fischer. Die australische Künstlerin baut aus Pappe Müll nach: Coladose, Zigarettenschachtel, Kippenstummel, Kaugummipapier. Auch die Tüte hinter Sam ist Teil des Ensembles. Sie sieht nach Plastik aus, ist aber aus Papier.
Viele Wege führen in die Wohnung, in der vor allem ein Material, der Sichtbeton, alles beherrscht: Man kann sie entweder aus der darüberliegenden betreten, in der Arno Brandlhuber lebt, oder aus den Räumen darunter, in denen Brandlhuber sein Büro hat, oder aber über Treppen, die vom Innenhof nach oben führen. Der Tisch ist ein Werk des dänischen, in Berlin lebenden Künstlers Tue Greenfort mit integrierter, gasbetriebener Straßenlaterne. Eine weitere Lichtquelle ist die von Achille Castiglioni entworfene Tischlampe „Taccia“.
„Es ist schön, endlich eine Küche zu haben“, sagt Sam. „Ich benutze ja Arnos Bad mit, weil es auf dieser Etage keines gibt. Durch die Küche habe ich jetzt immerhin fließend Wasser.“
Stühle: Vintage aus den Siebzigerjahren
„Es ist schön, endlich eine Küche zu haben“, sagt Sam. „Ich benutze ja Arnos Bad mit, weil es auf dieser Etage keines gibt. Durch die Küche habe ich jetzt immerhin fließend Wasser.“
Stühle: Vintage aus den Siebzigerjahren
„Die Idee zur gesamten Küchengestaltung fing beim Toaster an. Es ist ein sehr guter Toaster. Ich entwarf ein Gestell für ihn, dann bekam das Waschbecken auch eines und so weiter. Die Idee ist, alles eher casual zu halten“, sagt Sam und öffnet kurz den Kühlschrank. Darin drei Dinge: eine Flasche Wein und zwei Stücke französischen Weichkäses. Ein Austernhandschuh liegt gleich neben dem Waschbecken, allzeit bereit.
Da dieser Teil der Treppe, gleich neben der Küche, nicht benutzt wird, dient er als Ablageplatz für aktuelle Arbeitsmodelle.
„Arno und ich, wir treffen uns abends oft zu Drinks und reden über Architektur. Er hat ein Grundstück auf der Rockoway-Halbinsel in Queens, New York, gekauft, und wir entwickeln gerade Konzepte für ein weiteres Haus mit geteilter Nutzung, wie dieses hier. Die Arbeitsmodelle sind Teil des Entwurfes.“
Daneben befindet sich ein riesiger, grauer Einbauschrank.
„Arno und ich, wir treffen uns abends oft zu Drinks und reden über Architektur. Er hat ein Grundstück auf der Rockoway-Halbinsel in Queens, New York, gekauft, und wir entwickeln gerade Konzepte für ein weiteres Haus mit geteilter Nutzung, wie dieses hier. Die Arbeitsmodelle sind Teil des Entwurfes.“
Daneben befindet sich ein riesiger, grauer Einbauschrank.
Ein Blick aus dem Schlafzimmer in den Flur offenbart diese aus Sperrholz gebaute Bank – eine langgezogene Version Rietveld-Stuhles. Allerdings blieb sie unlackiert und natürlicher als ihr Vorbild.
Das Bett, ein spitz zulaufendes Dreieck, entwickelte Chermayeffs Büro ursprünglich für eine Ausstellung. Danach holte er es in seine Wohnung. „Ein normales Bett hätte ich mir in diesen Räumen nicht vorstellen können“, sagt er. Selbst die Bettdecke ist dreieckig. „Die haben Studenten in meinem Büro genäht. Natürlich hab ich sie dafür bezahlt.“
Die Bilder und Objekte am Kopfende des Bettes sind eine wilde Sammlung aus Erbstücken und anderweitig Zusammengetragenem. Josef Albers’ Serie „Hommage to the Square“ schnitt vor vielen Jahren Sams Großvater aus einem Buch aus und rahmte sie.
Den Spielzeug-Baukran wandelte Sam per Kabel und Glühbirne in eine Lampe um. Die Idee dahinter ist universell: Da Kräne dazu konzipiert sind, möglichst viele Bewegungen ausführen zu können, eignen sie sich in der Spielzeugversion besonders gut als Lampengestelle.
Eine hölzerne Einbaubank gehört, genau wie mehrere Regalböden, zu den integralen Bestandteilen des Studios. Zur einen Hälfte ist die Fensterfront transluzent, zur anderen Hälfte transparent.
Neben dem triangulären Bett gibt es außerdem diesen gepolsterten dreieckigen Hocker.
Neben dem triangulären Bett gibt es außerdem diesen gepolsterten dreieckigen Hocker.
Das architektonische Konzept des Gebäudes ist einfach und klar. Sichtbeton überall. Keine Wärmedämmungen, keine Geländer und offene Grundrisse – also Türen nur fürs Bad. Die Fassaden sind auf beiden Seiten großflächig verglast oder mit transluzentem Kunststoff verkleidet. Da das Gebäude dem Architekten Arno Brandlhuber selbst gehört und auch von ihm gebaut wurde, war er nicht gezwungen, sich an die DIN zu halten. Freiheit und Savoir-vivre in Béton brut sind das Ergebnis.
Die Rückenlehne der eingebauten Bank besteht aus aufgespannten Seilen. Den Tisch mit grüner Platte baute Sam Chermayeff selbst aus Plexiglas. Die Vorlage dazu lieferte eine Zeichnung seines Freundes Georg Diez (ja, der Autor), der seinen inneren Schmerz in einer abstrakten Darstellung zu Papier brachte. An der Wand lehnt die Kiste, in der der Küchentisch angeliefert wurde. Als unser Fotograf Luca Girardini fragt, ob wir sie aus dem Bild nehmen sollen, antwortet Sam: „Nein, ich lebe mit ihr. Lassen wir sie stehen.“
„Dieses Foto habe ich meiner Schwester geklaut. Es stammt aus einer Serie von Paul Fusco – „Funeral Train“. Fusco hat damals aus dem Zug, der Robert Kennedys Leiche transportierte, die Leute fotografiert.“ Ein Überbleibsel aus Zeiten, als Arno Brandlhubers Freundin hier lebte, ist der Betontisch.
Ein Stockwerk weiter oben befindet sich das Badezimmer, dass Arno Brandlhuber und Sam Chermayeff teilen. „Die Leute mutmaßen natürlich, dass wir zusammen sind. Ist aber nicht der Fall.“
Waschbecken und Toilette entwarf Luigi Colani 1975 für Villeroy & Boch. Damals war es eine Revolution, dass ein Designer begann, sich um die Ergonomie und Ästhetik von Toiletten zu kümmern.
Waschbecken und Toilette entwarf Luigi Colani 1975 für Villeroy & Boch. Damals war es eine Revolution, dass ein Designer begann, sich um die Ergonomie und Ästhetik von Toiletten zu kümmern.
Auf dem Dach lüftet sich das letzte Geheimnis dieser ungewöhnlichen Männer-WG. Eine Sauna aus Plexiglas, die Sams Büro entwarf und die man in Bergsteigermanier über ein recht steiles Dachstück erreicht – ohne Geländer, versteht sich. „Zugegeben, wenn das Dach nass ist, kann man hier schonmal ausrutschen“, erzählt Sam. „Kommt vor.“ Das schreckt die Hausbewohner aber nicht ab. Und so können vom obersten Stockwerk des gegenüberliegenden Gebäudes die Mitarbeiter des Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten zuweilen Leuten beim Saunieren zusehen. „Deswegen bekomme ich von der Berliner Kulturförderung wahrscheinlich kein Geld für meine Projekte“, sagt Chermayeff. „Die denken, uns geht es zu gut.“ Könnte sein.
In unserer Rubrik „Houzzbesuch“ stellen wir spannende Projekte der Houzz-Experten vor, aber auch originelle Wohnungen von Privatleuten. Ihr Projekt oder Ihr Zuhause passt perfekt? Dann schreiben Sie uns – und schicken Sie am besten ein paar Fotos mit!
In unserer Rubrik „Houzzbesuch“ stellen wir spannende Projekte der Houzz-Experten vor, aber auch originelle Wohnungen von Privatleuten. Ihr Projekt oder Ihr Zuhause passt perfekt? Dann schreiben Sie uns – und schicken Sie am besten ein paar Fotos mit!