Architektur
Ästhetik und Architektur: Lob des Schattens
Alles ist erleuchtet – aber warum? Dass im Schatten große Schönheit liegt, lernen wir aus einem berühmten, 80 Jahre alten japanischen Essay
Das Buch „Lob des Schattens“ ist ein Klassiker der japanischen Ästhetikliteratur. Der Autor Tanizaki Jun’ichirō hat den Essay 1933 veröffentlicht, erst Jahrzehnte später wurde er übersetzt. Doch für Architektur und Design ist er bis heute von Bedeutung.
Schon der Titel drückt eine eindeutige Präferenz für die Dunkelheit gegenüber dem Hellen aus, ebenso werden traditionell gestaltete Räume und Oberflächen den hellen und offenen Flächen des Modernismus vorgezogen. Dennoch ist Tanizakis Schrift nicht allein als Ausdruck einer reaktionären Haltung gegenüber den damaligen Veränderungen im Heimatland des Autors zu lesen: Sie ist vor allem eine besonders anschauliche Repräsentation des japanischen Ästhetizismus und der spezifischen Ästhetik des Landes – kulturell tief verwurzelt und gleichzeitig von universeller Menschlichkeit.
Frappierend ist die Zeitlosigkeit, mit der Tanizaki die vertrauten Beziehungen, die wir zu unserer Umgebung und zu Alltagsgegenständen pflegen, umschreibt. Dabei verhandelt er unter anderem Gebäude, Geschirr, Kleidung, Filme und Toiletten (ja, Toiletten haben mit Ästhetik zu tun!). Ein Großteil des Buches widmet sich allerdings jenen Räumen in Gebäuden, eingeschlossen Wohnhäusern, in denen die Verhältnisse von Licht und Schatten am eindrucksvollsten zu Tage treten. Die folgende Auswahl zeitgenössischer Wohnräume illustriert Tanizakis Ideen. Außerdem lädt sie dazu ein, den Autor zu zitieren und seine Aussagen einmal im Licht moderner Architektur zu betrachten.
Schon der Titel drückt eine eindeutige Präferenz für die Dunkelheit gegenüber dem Hellen aus, ebenso werden traditionell gestaltete Räume und Oberflächen den hellen und offenen Flächen des Modernismus vorgezogen. Dennoch ist Tanizakis Schrift nicht allein als Ausdruck einer reaktionären Haltung gegenüber den damaligen Veränderungen im Heimatland des Autors zu lesen: Sie ist vor allem eine besonders anschauliche Repräsentation des japanischen Ästhetizismus und der spezifischen Ästhetik des Landes – kulturell tief verwurzelt und gleichzeitig von universeller Menschlichkeit.
Frappierend ist die Zeitlosigkeit, mit der Tanizaki die vertrauten Beziehungen, die wir zu unserer Umgebung und zu Alltagsgegenständen pflegen, umschreibt. Dabei verhandelt er unter anderem Gebäude, Geschirr, Kleidung, Filme und Toiletten (ja, Toiletten haben mit Ästhetik zu tun!). Ein Großteil des Buches widmet sich allerdings jenen Räumen in Gebäuden, eingeschlossen Wohnhäusern, in denen die Verhältnisse von Licht und Schatten am eindrucksvollsten zu Tage treten. Die folgende Auswahl zeitgenössischer Wohnräume illustriert Tanizakis Ideen. Außerdem lädt sie dazu ein, den Autor zu zitieren und seine Aussagen einmal im Licht moderner Architektur zu betrachten.
„Wenn wir also einen Wohnsitz errichten, breiten wir vor allen Dingen den Schild eines Daches aus, beschatten damit ein abgemessenes Areal auf dem Erdboden und konstruieren dann das Haus in diesen dämmrigen Schattenbezirk hinein”
Tanizaki setzt den „Schirm“ auf dem Dach eines japanischen Hauses dem „Hut” auf dem Dach typischer westlicher Häuser gegenüber. Letztere haben gewöhnlich einen kleineren „Schirm“, damit mehr Sonnenlicht ins Hausinnere hineinfallen kann.
In den tiefen Traufen, die gebaut wurden, um Winde und Regen von den empfindlichen japanischen Shoji-Wänden (aus Papier!) abzuhalten, sieht Tanizaki den Ursprung dessen, was ein „japanisches Zimmer in unterschiedliche Lichtsituationen versetzt – schwere Schatten gegen leichte Schatten – es gibt nicht mehr als das“, so schreibt er. Es sind also die Gegebenheiten des Lebens, die uns den Schatten schätzen lehren.
Tanizaki setzt den „Schirm“ auf dem Dach eines japanischen Hauses dem „Hut” auf dem Dach typischer westlicher Häuser gegenüber. Letztere haben gewöhnlich einen kleineren „Schirm“, damit mehr Sonnenlicht ins Hausinnere hineinfallen kann.
In den tiefen Traufen, die gebaut wurden, um Winde und Regen von den empfindlichen japanischen Shoji-Wänden (aus Papier!) abzuhalten, sieht Tanizaki den Ursprung dessen, was ein „japanisches Zimmer in unterschiedliche Lichtsituationen versetzt – schwere Schatten gegen leichte Schatten – es gibt nicht mehr als das“, so schreibt er. Es sind also die Gegebenheiten des Lebens, die uns den Schatten schätzen lehren.
„..nur der diffuse Widerschein |des Lichts kann sich} vom Garten her durch die Shoji ins Innere stehlen. so besteht das ästhetische Element unserer Räume in nichts anderem als eben in dieser mittelbaren, abgestumpften Lichtwirkung“
Schatten entstehen nicht nur durch den Kontrast zwischen direktem Sonnenlicht und seiner Abwesenheit. Sanftes, indirektes Licht bewirkt nuancierte Schatten, bei denen doch ein Unterschied zwischen Hell und Dunkel erkennbar wird. In diesem Zimmer sieht man weiches Licht durch eine Bambuswand am Fenster scheinen, sowie Licht, das durch eine Dachluke an der Wand entlang herabfällt. Der Effekt ist fantastisch.
Schatten entstehen nicht nur durch den Kontrast zwischen direktem Sonnenlicht und seiner Abwesenheit. Sanftes, indirektes Licht bewirkt nuancierte Schatten, bei denen doch ein Unterschied zwischen Hell und Dunkel erkennbar wird. In diesem Zimmer sieht man weiches Licht durch eine Bambuswand am Fenster scheinen, sowie Licht, das durch eine Dachluke an der Wand entlang herabfällt. Der Effekt ist fantastisch.
„Wir erfreuen uns an jener zarten Helligkeit, die entsteht, wenn ein bereits diffuses Außenlicht allenthalben die dämmerfarbigen Wandflächen überzieht und nur mit Mühe einen Rest von Leben bewahrt“
Diese poetische Beschreibung einer Lichtsituation auf einer Wand macht deutlich, dass ein schwacher Lichteinfall viel mehr beeindrucken kann, als eine vollständig angestrahlte Wandfläche. Der Lichtstrahl, der diese Wand hier durchteilt – die hellste Fläche unter vielen subtilen – ist ein großartiger Zufall des Augenblicks.
Diese poetische Beschreibung einer Lichtsituation auf einer Wand macht deutlich, dass ein schwacher Lichteinfall viel mehr beeindrucken kann, als eine vollständig angestrahlte Wandfläche. Der Lichtstrahl, der diese Wand hier durchteilt – die hellste Fläche unter vielen subtilen – ist ein großartiger Zufall des Augenblicks.
Hier ist ein weiteres Beispiel dafür, wie hereinfallende Lichtfetzen mit der Anordnung von Accessoires, den Oberflächen und den Möbeln eines Raumes interagieren und so selbst zum Bestandteil der gestalterischen Komposition werden.
„Wollte man den japanischen Wohnraum mit einem Tuschebild vergleichen, dann entsprächen die Shoji den Stellen, wo die Tusche sehr verdünnt aufgetragen ist, und die Wandnische den Stellen, wo die Tusche am kräftigsten ist. Jedenfalls, wenn ich die Wandnische eines geschmackvoll hergerichteten japanischen Raumes sehe, bewundere ich, in welchem Ausmaß die Japaner das Geheimnis des Schattens verstanden haben, und wie raffiniert sie mit Licht und Schatten umzugehen wissen.“
Obgleich dieses Fachwerk-Teehaus in der Nähe von Washington, D.C. das Gegenteil von Tanizakis Beschreibung einer Zimmernische ist (er spricht von dunklen Ecken), ist der Effekt des Schattenfalls offensichtlich. Indirektes Licht auf den Wänden und eine abgeschrägte Decke tauchen die Nische abseits des Schlafzimmers in einen gleichmäßigen Schein, der sehr einladend wirkt.
Obgleich dieses Fachwerk-Teehaus in der Nähe von Washington, D.C. das Gegenteil von Tanizakis Beschreibung einer Zimmernische ist (er spricht von dunklen Ecken), ist der Effekt des Schattenfalls offensichtlich. Indirektes Licht auf den Wänden und eine abgeschrägte Decke tauchen die Nische abseits des Schlafzimmers in einen gleichmäßigen Schein, der sehr einladend wirkt.
„…bei der Anlage von Gärten breiten {die Leute im Westen} ebene Rasenflächen aus, wo wir schattige Bäume und tiefes Buschwerk pflanzen.“
Indem er die Zufriedenheit mit der eigenen Umgebung der Entschlossenheit gegenüber stellt, das eigene Grundstück zu verbessern, fasst Tanizaki den Unterschied zwischen Ost und West zusammen.
Dieser Garten in San Francisco macht die gegenseitige Befruchtung sichtbar, die in den 80 Jahren nach Tanizakis Essay zwischen Ost und West statt gefunden hat: asiatisches Feingefühl hat Einzug in westliche Lebensarten gefunden.
Die ästhetische Wertschätzung, die Tanizaki in „Lob des Schattens“ beschreibt, wird heute von Menschen auf der ganzen Welt geteilt. Dennoch birgt sie das Risiko, nur als oberflächlicher Stil verstanden zu werden, anstatt Denkweisen und Erfahrungen zu durchwandern. All denen, die dazu willens sind, bietet Tanizaki eine hervorragende Einführung, um die Schatten des Lebens und des Lichts schätzen zu lernen.
Zum Weiterlesen: Der Essay „Lob des Schattens“ in deutscher Übersetzung ist im Manesse Verlag erschienen
Indem er die Zufriedenheit mit der eigenen Umgebung der Entschlossenheit gegenüber stellt, das eigene Grundstück zu verbessern, fasst Tanizaki den Unterschied zwischen Ost und West zusammen.
Dieser Garten in San Francisco macht die gegenseitige Befruchtung sichtbar, die in den 80 Jahren nach Tanizakis Essay zwischen Ost und West statt gefunden hat: asiatisches Feingefühl hat Einzug in westliche Lebensarten gefunden.
Die ästhetische Wertschätzung, die Tanizaki in „Lob des Schattens“ beschreibt, wird heute von Menschen auf der ganzen Welt geteilt. Dennoch birgt sie das Risiko, nur als oberflächlicher Stil verstanden zu werden, anstatt Denkweisen und Erfahrungen zu durchwandern. All denen, die dazu willens sind, bietet Tanizaki eine hervorragende Einführung, um die Schatten des Lebens und des Lichts schätzen zu lernen.
Zum Weiterlesen: Der Essay „Lob des Schattens“ in deutscher Übersetzung ist im Manesse Verlag erschienen
Mit diesem frühen Zitat aus Tanizakis Buch bezieht er sich nicht etwa auf ein Zimmer, wie das oben abgebildete. Er spricht hier von einer Toilette, die er auch als „Ort spiritueller Ruhe“ bezeichnet (es sei daran erinnert, dass er sein Werk 1933 schrieb, als Toiletten „in einem Wäldchen duftend nach Blättern und Moos“ noch der häufigste Fall waren). Die Beschreibung passt jedoch auf nahezu alles, was Tanizaki dann auf den insgesamt 42 Seiten seines Essays erläutert – mal ist er dabei buchstäblich, mal eher metaphorisch zu verstehen.
Die Komposition aus Stille, Halbdunkel und klarer Ordnung lässt sich auch in diesem japanischen Cross House wieder entdecken, das auch auf den drei folgenden Fotos zu sehen ist. Gestaltet wurde es von Love Architecture.