Buchtipp: Über eine sanfte Beton-Löwin in Brasilien
Zur Münchner Ausstellung „Lina Bo Bardi 100“ erscheint ein umfassender Katalog bei Hatje Cantz, der die Architektin einfühlsam porträtiert
Wo sind sie eigentlich, die großen Frauen der Moderne? Nur wenige Frauennamen verknüpfen sich heute klangvoll mit der jüngeren Architekturgeschichte. Charlotte Perriand fällt uns ein, die eng mit Le Corbusier zusammenarbeitete, aber kaum selbst Häuser baute – Möbel und Innenräume waren ihre Domäne. Die Erfinderin der Einbauküche fällt uns ein, Margarete Schütte-Lihotzky, doch deren architektonisches Werk blieb ähnlich schmal.
Das Architekturmuseum der TU München holt nun mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes das Werk einer der ganz Großen hervor, einer, die heute als „posthume Stararchitektin“ gilt, wie Barry Bergdoll, Kurator des MoMA New York, das ausdrückt: Lina Bo Bardi, nach Brasilien ausgewanderte Italienerin mit einem Hang zu waghalsig großen Gesten. Schöpferin einer Architektur, die für sich spricht – und Geschlechterfragen in den Hintergrund rücken lässt.
Begleitet wird die Schau von einem beachtlichen Katalog, erschienen bei Hatje Cantz, der auf 368 Seiten mit 350 Abbildungen die Architektin und ihr Werk vorstellt. Am 5. Dezember wäre Lina Bo Bardi 100 Jahre alt geworden. Tatsächlich wurde sie 77, sie starb 1992 in dem Haus, das sie 1951 für sich und ihren Mann in São Paulos Stadtteil Morumbi entworfen und gebaut hatte. Wir sind froh, dass es sie gab.
Das Architekturmuseum der TU München holt nun mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes das Werk einer der ganz Großen hervor, einer, die heute als „posthume Stararchitektin“ gilt, wie Barry Bergdoll, Kurator des MoMA New York, das ausdrückt: Lina Bo Bardi, nach Brasilien ausgewanderte Italienerin mit einem Hang zu waghalsig großen Gesten. Schöpferin einer Architektur, die für sich spricht – und Geschlechterfragen in den Hintergrund rücken lässt.
Begleitet wird die Schau von einem beachtlichen Katalog, erschienen bei Hatje Cantz, der auf 368 Seiten mit 350 Abbildungen die Architektin und ihr Werk vorstellt. Am 5. Dezember wäre Lina Bo Bardi 100 Jahre alt geworden. Tatsächlich wurde sie 77, sie starb 1992 in dem Haus, das sie 1951 für sich und ihren Mann in São Paulos Stadtteil Morumbi entworfen und gebaut hatte. Wir sind froh, dass es sie gab.
Bo Bardis eigenes Haus, die Casa de Vidro, wird 1951 zur Werkschau ihres architektonischen Ansatzes. Es ist das erste Gebäude, das die Architektin realisiert, sie ist zu dem Zeitpunkt 36 Jahre alt.
Im Ausstellungskatalog beschäftigen sich viele sachkundige Essays verschiedener Autoren mit Bo Bardis Leben. Die Aufsätze begleiten sie durch verschiedene Schaffensphasen und beleuchten auch die Rolle ihrer Herkunft, die Einflüsse der brasilianischen Politik auf Bo Bardis Werk und die Beziehung zu ihrem Ehemann. Im hinteren Buchteil werden dann, Projekt für Projekt, ihre Bauten mit zahlreichen Skizzen, Fotografien, Grundriss- und Schnittzeichnungen vorgestellt.
Bo Bardi war Europäerin und hatte eine europäische Ausbildung genossen, eine Schülerin des modernen Bauens, die nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte, diese Formensprache mehr im örtlichen Bauen zu verankern. Die abstrakte Moderne ohne Bezug zum Ort war ihr zuwider. Die großen Satellitenprojekte eines Oscar Niemeyer – wie Brasília – sah sie mehr als kritisch.
Sie, die zu Beginn ihrer Laufbahn vor allem theoretisch und journalistisch gearbeitet hatte und ein großes Œuvre theoretischer Schriften hinterließ, wünschte sich eine kritische Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Bauort, den sie mit den künftigen Nutzern gemeinsam entwickelte und in der örtlichen Kultur verankern wollte. Daher beschäftigte sie sich intensiv mit den kulturellen Strömungen in Brasilien, deren afrikanische und orientalische Wurzeln sie identifizierte.
Ihre Casa de Vidro fällt in dieselbe Zeit wie Mies van der Rohes Farnsworth House oder Philip Johnsons Glass House. Vergleichen kann man ihre Architektur aber eher mit der eines mächtigen Einzelgängers der späten Moderne, der substanziell und materialschwer baute, statt seine Gebäude davonschweben zu lassen: Louis Kahn.
Im Ausstellungskatalog beschäftigen sich viele sachkundige Essays verschiedener Autoren mit Bo Bardis Leben. Die Aufsätze begleiten sie durch verschiedene Schaffensphasen und beleuchten auch die Rolle ihrer Herkunft, die Einflüsse der brasilianischen Politik auf Bo Bardis Werk und die Beziehung zu ihrem Ehemann. Im hinteren Buchteil werden dann, Projekt für Projekt, ihre Bauten mit zahlreichen Skizzen, Fotografien, Grundriss- und Schnittzeichnungen vorgestellt.
Bo Bardi war Europäerin und hatte eine europäische Ausbildung genossen, eine Schülerin des modernen Bauens, die nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte, diese Formensprache mehr im örtlichen Bauen zu verankern. Die abstrakte Moderne ohne Bezug zum Ort war ihr zuwider. Die großen Satellitenprojekte eines Oscar Niemeyer – wie Brasília – sah sie mehr als kritisch.
Sie, die zu Beginn ihrer Laufbahn vor allem theoretisch und journalistisch gearbeitet hatte und ein großes Œuvre theoretischer Schriften hinterließ, wünschte sich eine kritische Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Bauort, den sie mit den künftigen Nutzern gemeinsam entwickelte und in der örtlichen Kultur verankern wollte. Daher beschäftigte sie sich intensiv mit den kulturellen Strömungen in Brasilien, deren afrikanische und orientalische Wurzeln sie identifizierte.
Ihre Casa de Vidro fällt in dieselbe Zeit wie Mies van der Rohes Farnsworth House oder Philip Johnsons Glass House. Vergleichen kann man ihre Architektur aber eher mit der eines mächtigen Einzelgängers der späten Moderne, der substanziell und materialschwer baute, statt seine Gebäude davonschweben zu lassen: Louis Kahn.
Heute ist die Casa de Vidro (übersetzt: Glashaus) Teil einer Stiftung, des Instituto Lina Bo e P. M. Bardi, und wird für kulturelle Veranstaltungen genutzt. Der abgebildete Ausschnitt zeigt einen Teil des Wohnzimmers.
Das Museo de Arte de São Paulo entstand zwischen 1957 und 1968. Wir erfahren aus dem Katalog, dass Bo Bardi ihr Büro stets an den Ort der Baustellen verlegte, um hier direkt und unmittelbar auf die Bedürfnisse der Nutzer und Anforderungen der Umgebung eingehen zu können.
Der überdachte Stadtraum wird gerne an Markttagen genutzt, an denen er von zahlreichen Ständen bevölkert ist.
Der überdachte Stadtraum wird gerne an Markttagen genutzt, an denen er von zahlreichen Ständen bevölkert ist.
Das SESC – Fabrica da Pompéia, zwischen 1977 und 1986 um- und angebaut, diente zur medizinischen Versorgung von Arbeiterfamilien, aber auch für deren sportliche und kulturelle Freizeitgestaltung; es wird bis heute als großes Kultur- und Sportzentrum genutzt. Dazu gehören Theater-, Bibliothek- und Sportgebäude.
Am Umbau des alten Fabrikgeländes, auf dem früher Ölfässer hergestellt worden waren, arbeitete die Architektin fast zehn Jahre lang. Schon nach den ersten Begehungen war sie begeistert vom öffentlichen Leben, das sich zwischen den Häuserwänden abspielte: „Ich dachte nur: All das soll so weiterbestehen, wie es jetzt ist, mit all dieser Freude.“
Zwar richtete Bo Bardi ihr Augenmerk auf die Öffentlichkeit, sie selbst blieb aber lange Zeit den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Ehre wurde ihrem Werk tatsächlich erst posthum zuteil. Die Autoren des Kataloges finden sowohl für ihre Unbekanntheit wie auch für ihre Entdeckung zwei gute Gründe.
Erstens: Brasilien verschwand in den sechziger Jahren durch den Militärputsch von der kulturellen Bildfläche und blieb lange Zeit verschwunden. Als aufstrebende Marktwirtschaft und als Veranstalter der letzten Fußballweltmeisterschaft tritt es nun wieder auf die internationale Bühne.
Zweitens: Wir als Europäer finden wahrscheinlich gerade deshalb Zugang zu Bo Bardis Werk, weil sie selbst Europäerin war. Gleichzeitig ist sie heute so aktuell wie nie, da ihr Ansatz inzwischen zum allgemein akzeptierten Planungsmittel geworden ist – dass sich nämlich die Architektur für ihre Umgebung engagieren soll, indem sie ihr nicht fremd bleibt, sondern Vermittler für die Kultur des Ortes wird. Das hat Bo Bardi schon damals gewollt und verwirklicht. Und dafür wird sie heute geliebt, als eine ganz Große der späten Moderne.
Lina Bo Bardi 100: Brasiliens alternativer Weg in die Moderne
bis 22. Februar 2015
im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne
Am Umbau des alten Fabrikgeländes, auf dem früher Ölfässer hergestellt worden waren, arbeitete die Architektin fast zehn Jahre lang. Schon nach den ersten Begehungen war sie begeistert vom öffentlichen Leben, das sich zwischen den Häuserwänden abspielte: „Ich dachte nur: All das soll so weiterbestehen, wie es jetzt ist, mit all dieser Freude.“
Zwar richtete Bo Bardi ihr Augenmerk auf die Öffentlichkeit, sie selbst blieb aber lange Zeit den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Ehre wurde ihrem Werk tatsächlich erst posthum zuteil. Die Autoren des Kataloges finden sowohl für ihre Unbekanntheit wie auch für ihre Entdeckung zwei gute Gründe.
Erstens: Brasilien verschwand in den sechziger Jahren durch den Militärputsch von der kulturellen Bildfläche und blieb lange Zeit verschwunden. Als aufstrebende Marktwirtschaft und als Veranstalter der letzten Fußballweltmeisterschaft tritt es nun wieder auf die internationale Bühne.
Zweitens: Wir als Europäer finden wahrscheinlich gerade deshalb Zugang zu Bo Bardis Werk, weil sie selbst Europäerin war. Gleichzeitig ist sie heute so aktuell wie nie, da ihr Ansatz inzwischen zum allgemein akzeptierten Planungsmittel geworden ist – dass sich nämlich die Architektur für ihre Umgebung engagieren soll, indem sie ihr nicht fremd bleibt, sondern Vermittler für die Kultur des Ortes wird. Das hat Bo Bardi schon damals gewollt und verwirklicht. Und dafür wird sie heute geliebt, als eine ganz Große der späten Moderne.
Lina Bo Bardi 100: Brasiliens alternativer Weg in die Moderne
bis 22. Februar 2015
im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne
1943 wird ihr Mailänder Büro bei Luftangriffen in Schutt und Asche gelegt, woraufhin sie der kommunistischen Partei beitritt. Als die Christdemokraten in Italien 1946 die Wahlen gewinnen, wandert Bo Bardi mit ihrem Mann, dem Kunsthändler Pietro Maria Bardi, nach Brasilien aus.
Bo Bardi ist ein Kriegskind. Und ihre Architektur hat etwas Brutales, man könnte sie beinahe als „hässlich“ bezeichnen. Diese Form ist bewusst gewählt, um anzuklagen, um ihrer Opposition gegen Gewalt und Ungerechtigkeit Ausdruck zu verleihen. Der brasilianische Regisseur Glauber Rocha sprach 1956 in diesem Zusammenhang von einer „Ästhetik des Hungers“.
Das Buchcover zeigt Bo Bardi auf den Treppen ihres Wohnhauses, der Casa de Vidro, im Erbauungsjahr – 1951. Das folgende Porträt entstand 1960.