Architektur
Architekturikonen: Mies van der Rohes „Villa Tugendhat“
Ein Rundgang zeigt alle Facetten dieses Meisterwerks der Moderne, das 1930 fertiggestellt und vor zwei Jahren restauriert wurde
Zwanzig Jahre bevor Ludwig Mies van der Rohe sein berühmtes Farnsworth House baute, sieben Jahre vor seiner Emigration in die Vereinigten Staaten, entwarf er im Jahr 1930 die Villa Tugendhat im Auftrag der wohlhabenden Eheleute Fritz und Grete Tugendhat.
Grete Tugendhat (geschiedene Weiss, geborene Löw-Beer) hatte zur Hochzeit ein 2000-Quadratmeter großes Grundstück von ihrer Familie erhalten, das an einem Hang lag und von der Černopolní-Straße im heutigen Brno (Tschechien) erschlossen wurde. Mies entwarf hierfür ein Wohnhaus mit split levels – drei gegeneinander versetzten Geschossen. Der Eingang befindet sich im oberen Stockwerk, hier sind auch die Schlafzimmer, die Wohnung des Kindermädchens, ein Spielbereich und eine Terrasse untergebracht. Im mittleren Geschoss befinden sich Wohnräume, Küche, Wintergarten und eine weitere Terrasse, im unteren schließen sich Hauswirtschafts- und Lagerräume an.
Das Haus wirkt wie eine Wohnvariante von Mies’ Barcelona-Pavillon mit seinem fließenden Raum, dem offenen Grundriss und den tragenden Säulen anstelle massiver Wände, den er ein Jahr zuvor entworfen hatte. Die Villa Tugendhat kann gleichzeitig als Vorbote für Mies’ späteres Konzept des „universalen Raums“ gesehen werden, das vor allem bei den Bürohochhäusern Anwendung fand, die er in den fünfziger Jahren in den USA realisierte. Aber der Entwurf beweist auch ein Gespür für die Eigenheiten des Grundstücks und der Familie, die dort nur für kurze Zeit wohnte – die Tugendhats, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft 1938 zunächst in die Schweiz und dann nach Südamerika fliehen mussten.
Dank Mies’ offenen Grundriss konnte das Gebäude danach als Schule und Klinik (mit einer Abteilung für Kinderpsychologie) dienen, bevor es in den achtziger Jahren von der Stadtverwaltung übernommen und restauriert wurde. 2001 erklärte die UNESCO den Bau zum Weltkulturerbe, und zehn Jahre später wurde es noch umfangreicher restauriert. Seit März 2012 ist es wieder öffentlich zugänglich. Auf unserem Rundgang sehen wir die Räume im aktuellen Zustand.
Auf einen Blick
Erbaut: 1930
Architekt: Ludwig Mies van der Rohe
Ort: Brno (Tschechien)
Fläche: 240 Quadratmeter
Besucherinformation: Geführte Touren können im Voraus gebucht werden
Grete Tugendhat (geschiedene Weiss, geborene Löw-Beer) hatte zur Hochzeit ein 2000-Quadratmeter großes Grundstück von ihrer Familie erhalten, das an einem Hang lag und von der Černopolní-Straße im heutigen Brno (Tschechien) erschlossen wurde. Mies entwarf hierfür ein Wohnhaus mit split levels – drei gegeneinander versetzten Geschossen. Der Eingang befindet sich im oberen Stockwerk, hier sind auch die Schlafzimmer, die Wohnung des Kindermädchens, ein Spielbereich und eine Terrasse untergebracht. Im mittleren Geschoss befinden sich Wohnräume, Küche, Wintergarten und eine weitere Terrasse, im unteren schließen sich Hauswirtschafts- und Lagerräume an.
Das Haus wirkt wie eine Wohnvariante von Mies’ Barcelona-Pavillon mit seinem fließenden Raum, dem offenen Grundriss und den tragenden Säulen anstelle massiver Wände, den er ein Jahr zuvor entworfen hatte. Die Villa Tugendhat kann gleichzeitig als Vorbote für Mies’ späteres Konzept des „universalen Raums“ gesehen werden, das vor allem bei den Bürohochhäusern Anwendung fand, die er in den fünfziger Jahren in den USA realisierte. Aber der Entwurf beweist auch ein Gespür für die Eigenheiten des Grundstücks und der Familie, die dort nur für kurze Zeit wohnte – die Tugendhats, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft 1938 zunächst in die Schweiz und dann nach Südamerika fliehen mussten.
Dank Mies’ offenen Grundriss konnte das Gebäude danach als Schule und Klinik (mit einer Abteilung für Kinderpsychologie) dienen, bevor es in den achtziger Jahren von der Stadtverwaltung übernommen und restauriert wurde. 2001 erklärte die UNESCO den Bau zum Weltkulturerbe, und zehn Jahre später wurde es noch umfangreicher restauriert. Seit März 2012 ist es wieder öffentlich zugänglich. Auf unserem Rundgang sehen wir die Räume im aktuellen Zustand.
Auf einen Blick
Erbaut: 1930
Architekt: Ludwig Mies van der Rohe
Ort: Brno (Tschechien)
Fläche: 240 Quadratmeter
Besucherinformation: Geführte Touren können im Voraus gebucht werden
Von der Westseite sind alle drei Geschosse zu sehen, auch wenn die Anordnung der Baukörper das nicht sofort erkennen lässt. Die horizontale Verglasung des mittleren Stockwerks dominiert das Bild. Das obere Geschoss ist zurückgesetzt und kaum als solches erkennbar. Kompakt und massiv präsentiert sich das Untergeschoss.
Von der Straßenseite im Osten aus wirkt das Gebäude nur einstöckig. Mit seinen glatten Oberflächen, der großzügigen Verglasung und der hervortretenden Garage muss es 1930 einiges Aufsehen erregt haben. Auch jetzt noch würde man es auf den ersten Blick nicht unbedingt für ein Wohnhaus halten.
Zwischen der Garage auf der rechten Seite und der Glasfläche in der Mitte liegt ein offener Durchgang, der einen Rahmen um die dahinterliegende Landschaft bildet und den Blick zum Eingang lenkt.
Zwischen der Garage auf der rechten Seite und der Glasfläche in der Mitte liegt ein offener Durchgang, der einen Rahmen um die dahinterliegende Landschaft bildet und den Blick zum Eingang lenkt.
Das Milchglas biegt sich kurvenförmig zur Eingangstür hin, die durch diese Wölbung dem Blick von der Straße verborgen bleibt und gleichzeitig den Besucher in ihre Richtung lockt, sobald er das Gartentor passiert hat. Während die Tür-Verkleidung auffällig ist, fällt die flache Stufe davor kaum auf. Aber auch sie hat eine wichtige Funktion: Der Stein, aus dem sie gefertigt ist, unterscheidet sich vom Material des Pflasters und signalisiert damit den Übergang ins Haus.
Dieser Grundriss zeigt das Hauptgeschoss in der Mitte. Hier sind das Wohnzimmer, die Küche, ein Wintergarten und eine Terrasse untergebracht. Die Treppe, die wir gerade gesehen haben, ist in der Mitte der Zeichnung dargestellt. Sie führt spiralförmig ins Untergeschoss mit den Hauswirtschaftsräumen.
Nach einer 180-Grad-Drehung gelangt man in einen offenen, weiten Raum. Hier geht die Blickrichtung nach rechts (auf dem Grundriss: unten). Dieser Raum wird von einer geraden und einer halbkreisförmigen Wand gegliedert, wie auch von einer Reihe schmaler Säulen. Was auf den ersten Blick offen wirkt, ist beim genaueren Hinsehen auf ungewöhnliche Weise in verschiedene Bereiche geteilt.
Nach einer 180-Grad-Drehung gelangt man in einen offenen, weiten Raum. Hier geht die Blickrichtung nach rechts (auf dem Grundriss: unten). Dieser Raum wird von einer geraden und einer halbkreisförmigen Wand gegliedert, wie auch von einer Reihe schmaler Säulen. Was auf den ersten Blick offen wirkt, ist beim genaueren Hinsehen auf ungewöhnliche Weise in verschiedene Bereiche geteilt.
Von der Treppe kommend, gehen wir auf eine Sitzecke mit Tisch und Stühlen zu, die an den Wintergarten angrenzt und hinter einer der beiden Wände liegt. Die gerade verlaufende Wand besteht wie im Barcelona-Pavillon aus Onyx.
Beachten Sie den Samtvorhang und die Schienen an der Decke, um Räume voneinander abzugrenzen und vor Sonnenlicht zu schützen. Erwähnenswert ist auch, dass Säule und Wand zwei Einzelelemente sind, die sich voneinander unterscheiden – ein für die damalige Zeit höchst ungewöhnliches Detail.
Beachten Sie den Samtvorhang und die Schienen an der Decke, um Räume voneinander abzugrenzen und vor Sonnenlicht zu schützen. Erwähnenswert ist auch, dass Säule und Wand zwei Einzelelemente sind, die sich voneinander unterscheiden – ein für die damalige Zeit höchst ungewöhnliches Detail.
Die Wand aus Onyx beeindruckt nicht nur durch ihre stattliche Größe – fünf wandhohe Platten stehen nebeneinander –, sondern auch durch ihre üppige Maserung. Zwei der Platten sind spiegelbildlich angeordnet, wodurch sie der Wand einen Anschein von Asymmetrie geben, als sei sie nicht ganz zur Mitte hin ausbalanciert.
Auch wenn die Wand in Verhältnis zum Rest des Hauses klein ist, war sie Mies so wichtig, dass er einen Steinbruch im Atlasgebirge besuchte, um den Stein auszuwählen und danach das Zurechtschneiden und den Einbau zu überwachen.
Auch wenn die Wand in Verhältnis zum Rest des Hauses klein ist, war sie Mies so wichtig, dass er einen Steinbruch im Atlasgebirge besuchte, um den Stein auszuwählen und danach das Zurechtschneiden und den Einbau zu überwachen.
Der Architekt richtete das Haus teilweise mit Einbaumöbeln ein (die wir später noch sehen), teilweise auch mit Einzelstücken aus seinen Entwürfen, zum Beispiel dem Barcelona-Stuhl (aus dem gleichnamigen Pavillon, der ein Jahr zuvor entstanden war) und dem Tugendhat-Stuhl, den er eigens für das Haus entwarf.
Eine ausziehbare Markise schirmt einen Teil des direkten Sonnenlichts ab, das durch die großen Glasfronten im Westen eindringt. Die ausladenden Scheiben lassen sich in einen Hohlraum im Untergeschoss versenken. Damit nahm Mies die Idee der Glasschiebetüren vorweg, die heute weit verbreitet sind.
Die Elektrik, mit der sich die Scheiben bewegen lassen, dazu das damals brandneue Heizungs- und Kühlsystem und die hochwertige Konstruktion und Verarbeitung aller Komponenten trieben die Kosten in die Höhe. Es heißt, das Gebäude sei seinerzeit dreißigmal so teuer gewesen wie ein gewöhnliches Wohnhaus.
Eine ausziehbare Markise schirmt einen Teil des direkten Sonnenlichts ab, das durch die großen Glasfronten im Westen eindringt. Die ausladenden Scheiben lassen sich in einen Hohlraum im Untergeschoss versenken. Damit nahm Mies die Idee der Glasschiebetüren vorweg, die heute weit verbreitet sind.
Die Elektrik, mit der sich die Scheiben bewegen lassen, dazu das damals brandneue Heizungs- und Kühlsystem und die hochwertige Konstruktion und Verarbeitung aller Komponenten trieben die Kosten in die Höhe. Es heißt, das Gebäude sei seinerzeit dreißigmal so teuer gewesen wie ein gewöhnliches Wohnhaus.
Die Wand aus Ebenholz umschließt den Esstisch passgerecht und lenkt den Blick zugleich auf die Glasfassaden im Hintergrund.
Auch hier sehen wir ein Möbelstück, das Mies nur für das Haus entworfen hat: den Brno-Stuhl (wie der Barcelona-Chair heute von Knoll International produziert).
Auch hier sehen wir ein Möbelstück, das Mies nur für das Haus entworfen hat: den Brno-Stuhl (wie der Barcelona-Chair heute von Knoll International produziert).
Zurück im oberen Stockwerk, blicken wir in das Schlafzimmer von Fritz, dem Sohn der Tugendhats. Dort sehen wir etwas, das unten nicht zu entdecken war: eine Tür.
„Der liebe Gott steckt im Detail“ lautet ein berühmter Ausspruch von Mies. Ein Detail, das sich in seinen Bauten oft findet, sind deckenhohe Türen. Man sieht sie in seinen Wohnhäusern ebenso wie in den Bürogebäuden. Bei den Tugendhats stieß die Idee zunächst auf Widerspruch, aber Mies blieb unnachgiebig und setzte sich schließlich durch.
„Der liebe Gott steckt im Detail“ lautet ein berühmter Ausspruch von Mies. Ein Detail, das sich in seinen Bauten oft findet, sind deckenhohe Türen. Man sieht sie in seinen Wohnhäusern ebenso wie in den Bürogebäuden. Bei den Tugendhats stieß die Idee zunächst auf Widerspruch, aber Mies blieb unnachgiebig und setzte sich schließlich durch.
Zwei der Kinderzimmer sind miteinander verbunden wie angrenzende Hotelsuiten. Sie sind mit Einbauschränken und -regalen ausgestattet. Auch die Bibliothek im Hauptgeschoss verfügt über eingebaute Regale. Wie schon bei der Onyx-Wand sind die Paneele der Holzverkleidung mit ihrer Maserung spiegelbildlich angeordnet. Vor allem die Schranktüren erhalten dadurch einen starken Rhythmus.
Betrachten wir zum Schluss noch einige Details des Hauses, die Mies persönlich entwickelte. Zum Beispiel diese gewellte Säulenverkleidung aus Metall, die wiederum an den Barcelona-Pavillon erinnert. Dieses außergewöhnliche, komplexe Detail sorgt dafür, dass die Säulen schmaler und schlanker wirken als runde oder eckige Säulen. Gleichzeitig erzeugen sie interessante Schattenwürfe.
Weitere Kreise sind in den Deckenleuchten im Hauptgeschoss zu erkennen. Hier sind sie konzentrisch angeordnet, damit sie das Licht gleichzeitig verteilen und bündeln.
Angesichts solcher Details verwundert es nicht, dass der Bau so hohe Kosten verursachte. Und es erstaunt auch nicht, dass er so große Wertschätzung erfährt und so viel Geld in seine Restaurierung floss. Ein Meisterwerk der Moderne steht wieder jedem Besucher offen.
Angesichts solcher Details verwundert es nicht, dass der Bau so hohe Kosten verursachte. Und es erstaunt auch nicht, dass er so große Wertschätzung erfährt und so viel Geld in seine Restaurierung floss. Ein Meisterwerk der Moderne steht wieder jedem Besucher offen.