Radikal reduzierte Architektenwohnung in Berlin
Es ist das erste Männerhaus Berlins und Wohn- und Arbeitsschwerpunkt des Architekten Holger Schweitzer – uns verriet er, wie das so läuft
Eva Zimmermann
12. September 2015
Journalistin mit Architektur-Diplom und Vorliebe für weniger – und manchmal auch mehr.
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Holger Schweitzer ist ein Architekt, wie er im Buche steht. Schon während der Studienzeit an der Berliner Freien Universität reiste er weit und sah sich lieber vor Ort an, wie gebaut wurde, statt im Hörsaal zu sitzen. Als Architekt und Projektentwickler hat er schon in Israel, Australien und China gearbeitet. Berlin aber ist seit 40 Jahren seine Homebase. 2011 kaufte er eins dieser „schamlosen Sechzigerjahrehäuser“ in Schöneberg und machte es zum ersten „Männerhaus“ Berlins – die gesamte Hausgemeinschaft besteht aus schwulen Männern. Im fünften Stock, den er auf das Gebäude baute, wohnt er selbst mit seinem Freund. Und der Weg zur Arbeit ist auch denkbar kurz: Gleich neben dem Apartment hat er nämlich sein Architekturbüro eingerichtet.
Hier wohnen (und arbeitet): Architekt Holger Schweitzer mit seinem Freund und Hündin Frau Meier
Auf: 80 Quadratmetern Wohn- und 80 Quadratmetern Bürofläche
In: Berlin-Schöneberg
„Alles, was nicht da ist, ist schön“, sagt Holger Schweitzer. „Radikalen Reduktionismus“ nennen das seine Freunde, und der Architekt erzählt dies nicht ohne Stolz. Denn wer ihn besucht, betritt eine Wohnung, die wirklich auf das Wesentliche reduziert ist: „Ich habe keine Bücher, keine Bilder, keine CDs. Das ist natürlich nicht von heute auf morgen passiert. Inspiriert haben mich dazu Reisen und Arbeitsaufenthalte als Architekt in Asien, Afrika, Amerika, Australien, den Nahen und Fernen Osten. Groß ist die Anzahl der Dinge, derer ich nicht bedarf! Ergo habe ich immer mehr aussortiert. Allerdings dauerte es Jahrzehnte, bis der heutige Grad an Minimalismus erreicht war.“
Auf: 80 Quadratmetern Wohn- und 80 Quadratmetern Bürofläche
In: Berlin-Schöneberg
„Alles, was nicht da ist, ist schön“, sagt Holger Schweitzer. „Radikalen Reduktionismus“ nennen das seine Freunde, und der Architekt erzählt dies nicht ohne Stolz. Denn wer ihn besucht, betritt eine Wohnung, die wirklich auf das Wesentliche reduziert ist: „Ich habe keine Bücher, keine Bilder, keine CDs. Das ist natürlich nicht von heute auf morgen passiert. Inspiriert haben mich dazu Reisen und Arbeitsaufenthalte als Architekt in Asien, Afrika, Amerika, Australien, den Nahen und Fernen Osten. Groß ist die Anzahl der Dinge, derer ich nicht bedarf! Ergo habe ich immer mehr aussortiert. Allerdings dauerte es Jahrzehnte, bis der heutige Grad an Minimalismus erreicht war.“
Die Wohnung im fünften Stock hat der Architekt selbst entworfen und auf das Haus in der Gleditschstraße bauen lassen. Statt die Brettstapeldecke mit Estrich und Fußbodenbelag zu versehen, ließ Schweitzer sie schleifen, ölen, weißen und machte sie dadurch salonfähig. Die Wände sind verputzt und werden mit Spots in Szene gesetzt. „Wände mit durchwirkter Oberflächenstruktur, inszeniert durch Licht, sind für mich wie Bilder ohne Rahmen“, sagt er. Auch die Einbauküche entwarf er selbst. Tischler Alessandro Rizzo baute sie aus kanadischer Eiche.
Im Hintergrund sieht man die aufwändig gestaltete, organisch anmutende Cortenstahl-Brüstung des Balkons – in Anlehnung an das Astwerk der Gleditschie, eine Baumgattung, die nach dem berühmten Berliner Botaniker Johann Gottlieb Gleditsch benannt wurde (ebenso wie die Straße, in der das Haus steht). Gleditsch hatte im 18. Jahrhundert die zweigeschlechtliche Vermehrung von Pflanzen nachgewiesen.
Geländer: Jörg Arras
Im Hintergrund sieht man die aufwändig gestaltete, organisch anmutende Cortenstahl-Brüstung des Balkons – in Anlehnung an das Astwerk der Gleditschie, eine Baumgattung, die nach dem berühmten Berliner Botaniker Johann Gottlieb Gleditsch benannt wurde (ebenso wie die Straße, in der das Haus steht). Gleditsch hatte im 18. Jahrhundert die zweigeschlechtliche Vermehrung von Pflanzen nachgewiesen.
Geländer: Jörg Arras
Gedeckte Weißtöne und Licht setzen die Akzente in Schweitzers Wohnung. In den grünen Glasflaschen bewahrt er Gewürze auf.
2011 kaufte Holger Schweitzer das Haus in Berlin-Schöneberg und machte es zum ersten Männerhaus Berlins, in dem schwule Männer gemeinschaftlich zusammenwohnen. Dafür gründete er eine GbR. Es fanden sich fünf Investoren aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, heute leben 12 Personen im Haus. Der Gründungsgedanke hatte nichts Ausschließendes, sondern beruhte auf einem Gefühl des Zusammenhalts: „Die Energie der Männergruppe fanden wir interessant. Es ist ein Versuch. Mal schauen, was die Zukunft bringt“, sagt Schweitzer.
Gemeinsam mit einer Freundin aus Schulzeiten, der Künstlerin Beate Emanuel, hat er das Projekt gestaltet und Details wie die Balkonbrüstungen mit ihr ausgearbeitet.
2011 kaufte Holger Schweitzer das Haus in Berlin-Schöneberg und machte es zum ersten Männerhaus Berlins, in dem schwule Männer gemeinschaftlich zusammenwohnen. Dafür gründete er eine GbR. Es fanden sich fünf Investoren aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, heute leben 12 Personen im Haus. Der Gründungsgedanke hatte nichts Ausschließendes, sondern beruhte auf einem Gefühl des Zusammenhalts: „Die Energie der Männergruppe fanden wir interessant. Es ist ein Versuch. Mal schauen, was die Zukunft bringt“, sagt Schweitzer.
Gemeinsam mit einer Freundin aus Schulzeiten, der Künstlerin Beate Emanuel, hat er das Projekt gestaltet und Details wie die Balkonbrüstungen mit ihr ausgearbeitet.
Der Küche genau gegenüber liegt das Wohnzimmer. Die beiden Bereiche gehen fließend ineinander über. Auch hier ein Hauch von Nichts – Sitzsäcke und ein raumlanges Regal, in dem Schweitzer neben gutem Wein schon mal Brennholz für den geplanten Kamin lagert.
Durch Schiebetüren abgetrennt, befindet sich linkerhand das Schlafzimmer
Durch Schiebetüren abgetrennt, befindet sich linkerhand das Schlafzimmer
Der Bettrahmen ist ein Eigenentwurf des Architekten. Darin liegen die Matratzen einfach auf dem Boden. Bis auf einige Spotlight gibt es nichts weiter in diesem Raum.
Schweitzers Tag ist straff organisiert: „Ich wache zwischen fünf und sieben Uhr morgens auf und arbeite für eine Stunde vom Bett aus. Eine sehr produktive Zeit. Dann schlafe ich eine weitere Stunde und stehe auf. Ich arbeite bis circa 18 Uhr und treffe abends Geschäftspartner und Kunden. Dann vermischt sich Arbeit mit Freizeit.“
Das Bad befindet sich neben der Küche, gegenüber dem Schlafzimmer. Die Platte auf dem selbst entworfenen Waschtisch besteht aus Chaldezon, einem Halbedelstein. Schweitzer reist für seine Projekte gerne in die Steinzeit – einem Berliner Steinhändler –, und lässt sich die Stücke so zusägen, dass sich schöne Musterungen an den sichtbaren Stellen befinden und nicht etwa unter dem Waschbecken verschwinden.
Der Spiegel konnte bündig in die Wand eingebaut werden, indem Schweitzer die umgebenden Wände mit Kartonplatten aufdoppeln ließ. Nur eine schmale Schattenfuge blieb.
Armaturen: Steinberg; Waschtisch: Maßanfertigung; Toilette: Villeroy & Boch; Spülknopf: Grohe
Der Spiegel konnte bündig in die Wand eingebaut werden, indem Schweitzer die umgebenden Wände mit Kartonplatten aufdoppeln ließ. Nur eine schmale Schattenfuge blieb.
Armaturen: Steinberg; Waschtisch: Maßanfertigung; Toilette: Villeroy & Boch; Spülknopf: Grohe
…befindet sich eine Dusche. Zwar gibt es eine kleine Stufe, doch auch im Alter wird dieses Bad leicht benutzbar sein – das war Holger Schweitzer wichtig.
Alle Türgriffe sind mit Leder umfasst. Details wie dieses zeugen von der Umsicht und Sorgfalt, mit der die gesamte Architektur geplant wurde.
Der begehbare Kleiderschrank, gleich neben dem Bad, ist 1,80 mal 4,20 Meter groß. „Möbeleinbauten und begehbare Stauräume sind eine großartige Lösung für platzsparende, effiziente Grundrisse. Letztlich spart man durch eine solche Kammer kostenproduzierende Fläche, weil große Schränke wegfallen, die sonst Wohn- und Bewegungsraum fressen würden.“
Den Übergang in Holger Schweitzers Home Office bildet dieser Raum. An der Decke wurde ein Stoff mit Astmusterung aufgespannt, der nachts hinterleuchtet werden kann – das Motiv der Gleditschie durchdringt alle Räume.
Gäste und Kunden können in diesem ans Büro grenzenden Zimmer übernachten.
Holger Schweitzer arbeitet mit drei bis fünf Angestellten in seinem Büro. „Ich habe mich bewusst verkleinert. Früher war mein Büro sehr viel größer, insbesondere was die Mitarbeiterzahl betrifft: damals 15 Leute. Im kleinen Team kann ich mich mehr auf Details konzentrieren und muss nicht so viel Ärger ausbaden.“
„Von zuhause zu arbeiten, war zunächst ein Experiment. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich am selben Ort leben und arbeiten wollte. Partner und Freunde im Haus – quasi fast alles, was das soziale Leben bestimmt. Auch gab es die Sorge, dass ich ständig arbeite und kein Ende finde. Dann wurde mir klar, dass ich viel Zeit einsparen konnte. Heute finde ich es großartig. Meine Sorgen haben sich nicht bewahrheitet. Mein Arbeitsweg ist jetzt 12,5 Zentimeter lang – so dick ist die Wand zwischen Wohnung und Büro.“
„Von zuhause zu arbeiten, war zunächst ein Experiment. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich am selben Ort leben und arbeiten wollte. Partner und Freunde im Haus – quasi fast alles, was das soziale Leben bestimmt. Auch gab es die Sorge, dass ich ständig arbeite und kein Ende finde. Dann wurde mir klar, dass ich viel Zeit einsparen konnte. Heute finde ich es großartig. Meine Sorgen haben sich nicht bewahrheitet. Mein Arbeitsweg ist jetzt 12,5 Zentimeter lang – so dick ist die Wand zwischen Wohnung und Büro.“
Ordnung ist für Holger Schweitzer notwendig: „Ich strebe nach Perfektion, ohne sie zum Zwang werden zu lassen. Wenn alles perfektioniert ist, hilft mir das, innerlich zur Ruhe und mit meiner Kreativität in Berührung zu kommen. Dabei entsteht ein Gefühl totaler Zufriedenheit. Für mich ist Perfektion wie die Pirouette auf einem Vulkan – sie hält nie lange an.“
Frau Meier, die Hündin, ist tagsüber die gute Seele des Büros, das sie tadellos bewacht, ohne einen Mucks zu machen.
Die Dachterrasse mit selbst angelegtem Garten ist vieles in einem: Ort für den Frühsport, Gemeinschaftsraum mit immer fließend warmem und kaltem Wasser und ein offenes Projekt. Denn Schweitzer würde gerne noch ein Stockwerk auf das Gebäude bauen. „Ich finde, gerade das Sechzigerjahre-Erbe Berlins kann Aufbauten von einem weiteren Stockwerk plus Staffelgeschoss vertragen. Erst dann sind sie so hoch wie die Gründerzeitbauten. Berlin braucht Lösungen für die Stadtverdichtung – dies ist eine, die ich gerne vorantreiben möchte. Nur sperren sich im Moment die Bezirke dagegen. Der Senat ist gewillt. Dabei braucht die Stadt bis 2020 140.000 Wohnungen für 250.000 Menschen – das ist die Senatsrichtlinie.“
Diese Außenbadewanne auf der Dachterrasse kann dank frostsicherem Wasserhan das ganze Jahr hindurch benutzt werden.
Reduktion, wie sie Holger Schweitzer verficht, führt dazu, dass man die Umgebung umso deutlicher wahrnimmt. Je weniger Dinge den Blick verstellen, desto mehr kommt das Leben zur Geltung. Solches gilt auch für Panoramen wie dieses, gesehen von der Dachterrasse aus, mit Blick auf den Gasometer am Südkreuz. Radikal emotional.
Weiterlesen: Über die große Macht der Einfachheit in der Architektur >>>
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