Architektur
Von der Schlange, die eine Wohnung verschluckte – und umgekehrt
Ein hybrides Einbauobjekt zieht sich durch die vierten Etage dieses Gründerzeithauses in Prenzlauer Berg – und definiert ungewöhnliche Räume
Was ist das eigentlich, ein Raum? Man redet gerne von der Küche, dem Schlafzimmer, dem Wohnzimmer, dem Bad. Und wenn man Räume aus diesen Vorstellungen heraus entwirft, wird nie mehr dabei herauskommen als eben solche Zimmer, von denen wir alle Konzepte haben, deren Grenzen klar umrissen sind und die uns, in all ihren Varianten, vertraut sind.
Genau das wollten Dagmar Reinhardt und Alexander Jung vermeiden, als sie den Innenausbau zweier Wohnungen in Prenzlauer Berg übernahmen. Das Gebäude stammte aus dem beginnenden 20. Jahrhundert, Gründerzeit, wurde totalrenoviert. Bis auf die tragenden Wände gab es also nichts, was ihre Raumgestaltung eingeschränkt hätte. Also fragten sich die Frankfurter Architekten: Wäre es nicht viel interessanter, die Etage so zu gestalten, dass man sich den Raum selbst aneignen kann?
„Uns interessiert Raum, der polyvalent ist, wie der niederländische Architekt Herman Hertzberger sagt, mit Formen, die man entdecken und verstehen lernen muss. Das heißt, wir wollen Räume schaffen, die nicht überfunktionalisiert sind, sondern sich unterschiedlichen Nutzungen anpassen“, sagt Dagmar Reinhardt. Um diese Unschärfe zu unterstreichen, schufen die Architekten einen Hybriden – ein Objekt, das mal Schrank, mal Küchenzeile, mal Sitzfläche sein kann und sich durch alle Bereiche des Apartments zieht.
Genau das wollten Dagmar Reinhardt und Alexander Jung vermeiden, als sie den Innenausbau zweier Wohnungen in Prenzlauer Berg übernahmen. Das Gebäude stammte aus dem beginnenden 20. Jahrhundert, Gründerzeit, wurde totalrenoviert. Bis auf die tragenden Wände gab es also nichts, was ihre Raumgestaltung eingeschränkt hätte. Also fragten sich die Frankfurter Architekten: Wäre es nicht viel interessanter, die Etage so zu gestalten, dass man sich den Raum selbst aneignen kann?
„Uns interessiert Raum, der polyvalent ist, wie der niederländische Architekt Herman Hertzberger sagt, mit Formen, die man entdecken und verstehen lernen muss. Das heißt, wir wollen Räume schaffen, die nicht überfunktionalisiert sind, sondern sich unterschiedlichen Nutzungen anpassen“, sagt Dagmar Reinhardt. Um diese Unschärfe zu unterstreichen, schufen die Architekten einen Hybriden – ein Objekt, das mal Schrank, mal Küchenzeile, mal Sitzfläche sein kann und sich durch alle Bereiche des Apartments zieht.
Ja, was verbirgt sich wohl hinter den Türen dieses Objekts, sind das Schränke oder Bänke oder beides?
Kennen Sie das Bild eines Hutes, das der kleine Prinz seinem erwachsenen Freund zeigt? Und eigentlich handelt es sich gar nicht um einen Hut, sondern um eine Schlange, die einen Elefanten gefressen hat? Genau diese Unschärfe der Formsprache ist es, worauf die Gestaltung abzielt, und jene Episode aus „Der kleine Prinz“ haben die Architekten bewusst als Gleichnis gewählt, um ihre Idee zu illustrieren:
„Das Objekt kann mehr, als man ihm auf den ersten Blick ansieht. Es ist zunächst etwas Fremdes, ja sogar Unheimliches, solange man es nicht kennt und nicht einschätzen kann. Dann aber bietet es viele Möglichkeiten, sich mit ihm vertraut zu machen.“
Kennen Sie das Bild eines Hutes, das der kleine Prinz seinem erwachsenen Freund zeigt? Und eigentlich handelt es sich gar nicht um einen Hut, sondern um eine Schlange, die einen Elefanten gefressen hat? Genau diese Unschärfe der Formsprache ist es, worauf die Gestaltung abzielt, und jene Episode aus „Der kleine Prinz“ haben die Architekten bewusst als Gleichnis gewählt, um ihre Idee zu illustrieren:
„Das Objekt kann mehr, als man ihm auf den ersten Blick ansieht. Es ist zunächst etwas Fremdes, ja sogar Unheimliches, solange man es nicht kennt und nicht einschätzen kann. Dann aber bietet es viele Möglichkeiten, sich mit ihm vertraut zu machen.“
Und sich mit dem Hybriden vertraut zu machen, gelingt, wenn man näher tritt, ihn anfasst und genau betrachtet. Wir sehen: Da sind Schubladen, wir sehen, da gibt es offensichtlich eine Bank, wir sehen eine Espressomaschine. Befinden wir uns etwa…
… in der Küche? Ja, es sieht ganz danach aus.
Die Geräte stammen überwiegend von Smeg, die Sitzbank rechts ist mit grauem Kunstleder bezogen und die Arbeitsplatte besteht aus Corian. Für den Bau des Hybriden, der, wie man hier schon bemerkt, verschiedenste Elemente und Materialien in sich vereint, war die Firma Radix verantwortlich.
Andernorts verändert sich der multiple Raumkörper wieder, besteht aus mal Gipskarton, mal aus beschichteten Holzwerkstoffplatten.
Die Geräte stammen überwiegend von Smeg, die Sitzbank rechts ist mit grauem Kunstleder bezogen und die Arbeitsplatte besteht aus Corian. Für den Bau des Hybriden, der, wie man hier schon bemerkt, verschiedenste Elemente und Materialien in sich vereint, war die Firma Radix verantwortlich.
Andernorts verändert sich der multiple Raumkörper wieder, besteht aus mal Gipskarton, mal aus beschichteten Holzwerkstoffplatten.
Sichtbezüge waren für Reinhardt Jung die treibende Gestaltungskraft des Projektes. Anhand von digitalen und analogen Entwurfsverfahren wurde der Raum so entwickelt, dass von den meisten Punkten des Apartments aus die volle Raumtiefe des Gründerzeitbaus sichtbar ist.
Und was verbirgt sich nicht alles hinter den Wandscheiben, die in spitzen Winkeln den Raum durchschneiden und den Blick in die Tiefe lenken?
Unten sehen wir einen Kamin, aus sandgestrahltem Stahl. Darüber Stauraum, mit Fächern, die in Pink gestrichen sind. „Wir haben mit dem Bauherren zusammen eine Farbpalette erarbeitet, die als Ergänzung zum Weiß gedacht war: Die Körper sollen von innen heraus leuchten, wie eine Auster. Sobald das Möbelstück geöffnet wird, reflektiert sich die Farbe im Weiß der Umgebung“, sagt Reinhardt.
Unten sehen wir einen Kamin, aus sandgestrahltem Stahl. Darüber Stauraum, mit Fächern, die in Pink gestrichen sind. „Wir haben mit dem Bauherren zusammen eine Farbpalette erarbeitet, die als Ergänzung zum Weiß gedacht war: Die Körper sollen von innen heraus leuchten, wie eine Auster. Sobald das Möbelstück geöffnet wird, reflektiert sich die Farbe im Weiß der Umgebung“, sagt Reinhardt.
Bei einem Rundumblick werden die verschiedenen Zeitschichten deutlich, die in diesem Apartment übereinanderliegen. Als bewussten Hinweis auf die Entstehungszeit des Hauses legten Reinhardt Jung das Bestandsmauerwerk frei und strichen es weiß, wie den Rest des Raumes. „Das entspricht auch unserem übergreifenden Konzept von 1000 Farben in Schneetönen“, sagt Reinhardt. Man spürt und sieht, es geht um feinste Nuancen.
Das Regal entwarfen Reinhardt Jung selbst und ließen es von Radix bauen. Die Leuchten auf dem Boden stammen von Wielamp, das LED-Leuchtband an der Decke lässt sich per Fernbedienung steuern und kann das Farbspektrum wechseln. „Für uns ist das eine Erweiterung des klassischen zentralen Wohnthemas von Herd, Feuer und Licht, also vom Kern und Fokuspunkt jedes Heimes“, sagt Reinhardt.
Wie die Linien der Bereiche von Schlafen und Wohnen aufeinander abgestimmt sind und einander berühren, sieht man an diesem Deckendetail.
Hier schließt auch die Drehtür an. Hergestellt wurde der Kreuzungspunkt mit Schürzen im Trockenbauweise.
Hier schließt auch die Drehtür an. Hergestellt wurde der Kreuzungspunkt mit Schürzen im Trockenbauweise.
Reinhardt Jung definierten einzelne Raumbereiche über die Material- und Farbwahl: Der Nassbereich wurde mit großformatigen Keramikfliesen in Anthrazit ausgekleidet. „Wir wählten den dunklen Farbton als Kontrast zur Farbe des nackten Körpers, der vor diesem Hintergrund besonders zart wirkt“, sagt Reinhardt.
Im Überblick: Zwei Apartments, eine Idee. Im vierten Stock eines Gründerzeitbaus in Berlin, Prenzlauer Berg, schufen Reinhardt Jung diese Wohneinheiten. Die auf dem Plan unteren Räume sind als Wochenendwohnung für den Bauherren konzipiert, die oberen als Alterswohnsitz für seine Eltern.
In diesem Schema wird noch einmal die Wirkungsweise des großen Türelementes im kleinen Apartment illustriert, das, je nach Position, bestimmte Räume öffnet und gleichzeitig andere verschließt. Unterschiedliche Stellungen lassen so Zimmer in verschiedenen Größen entstehen.
Die Architektur gewinnt durch die offene Herangehensweise der Planer eine spielerische Freiheit, die sich jedes Kind wünschen würde, weil man sich in ihr anders ausprobieren und mehr in ihr sehen kann, als es fertig ausdefinierte Räume zulassen. Den kleinen Prinzen hätte ein solcher Ort erfreut, vielleicht wäre er eingezogen – mit Hut, Schlange und Elefant.
Die Architektur gewinnt durch die offene Herangehensweise der Planer eine spielerische Freiheit, die sich jedes Kind wünschen würde, weil man sich in ihr anders ausprobieren und mehr in ihr sehen kann, als es fertig ausdefinierte Räume zulassen. Den kleinen Prinzen hätte ein solcher Ort erfreut, vielleicht wäre er eingezogen – mit Hut, Schlange und Elefant.
Im Apartment des Bauherren dient eine große Drehtür dazu, den Raum in flexible Areale aufzuteilen. „Wir verstehen sie als Maschine, die einzelne Zonen miteinander verbindet oder sie voneinander trennt“, sagt Reinhardt. Wie bei der berühmten Tür im Atelier des Künstlers Marcel Duchamp: „Diese Tür schwang zwischen zwei Öffnungen und war damit, je nach Betrachtungsweise, immer offen oder immer geschlossen“, sagt Reinhardt.
Im Bildhintergrund sehen wir einen Teil des Hybriden, dessen Funktion nicht klar ablesbar ist – und genau das war der Wunsch der Entwerfer. Folgerichtig wurde der gesamte Innenraum in neutralem Weiß gestaltet, mit einem Fußboden, der vor Ort gegossen wurde. Fugenloses, weiß-mattiertes Polyurethan.