Welche Megatrends unser Wohnen beeinflussen (werden)
Ein Gespräch mit der Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern über vertikale Dörfer, Vereinsamung und besseres Stadtklima
Das Leben unterliegt ständigem Wandel. Wir ziehen um, richten uns neu ein, bekommen neue Nachbarn, werden selbst zu neuen Nachbarn. Wohin entwickelt sich unsere Art zu wohnen? Dieser Frage geht Trendforscherin Oona Horx-Strathern am Zukunftsinstitut in ihrem Homereport 2020 nach, in dem sie aktuelle Entwicklungen und Trends zum Thema Wohnen zusammenfasst. Sie selbst hat schon in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen gewohnt: in einer Kommune, in Wohngemeinschaften, allein, mit der Familie. Wir haben mit ihr über Megatrends gesprochen, die uns beeinflussen werden.
Wenn Keller zu feucht sind und Dachgeschosse zu Wohnraum ausgebaut wurden, helfen Lagerräume, Dinge zu verstauen, die in der Wohnung keinen Platz haben. Im Homereport verweist Oona Horx-Strathern darauf, dass die Architektur dieser Lagerräume ganze Stadtviertel prägt. Ein Grund für Stadtplaner und Architekten, hier aktiv zu werden.
Was können wir, was kann der Einzelne tun, um sich angesichts dieser Entwicklungen und Trends wohlzufühlen?
Der Einzelne lebt die Trends. Das geschieht eher unbewusst, beispielsweise in den neuen Formen des Coliving. Die Leute wohnen in einer individualistischen Gemeinschaft. Was wie ein Paradox klingt, stellt die Lösung dafür dar, scheinbar unvereinbare Wünsche zu vereinen.
Wir wollen also individualistisch und gleichzeitig in Gemeinschaft leben? Lässt sich das überhaupt vereinen?
Viele Menschen betrachten das Leben heute als Ganzes, nicht einfach unterteilt in Arbeit, Familie, Freizeit, etc. Nehmen wir den Coworkingtrend. Auf Englisch lässt sich diese Arbeitssituation schön in die Formel fassen: „Not to make a living, but a life.“ Es geht nicht einfach darum zu arbeiten, sondern Teil einer Community zu sein, Gemeinschaft zu leben.
Was können wir, was kann der Einzelne tun, um sich angesichts dieser Entwicklungen und Trends wohlzufühlen?
Der Einzelne lebt die Trends. Das geschieht eher unbewusst, beispielsweise in den neuen Formen des Coliving. Die Leute wohnen in einer individualistischen Gemeinschaft. Was wie ein Paradox klingt, stellt die Lösung dafür dar, scheinbar unvereinbare Wünsche zu vereinen.
Wir wollen also individualistisch und gleichzeitig in Gemeinschaft leben? Lässt sich das überhaupt vereinen?
Viele Menschen betrachten das Leben heute als Ganzes, nicht einfach unterteilt in Arbeit, Familie, Freizeit, etc. Nehmen wir den Coworkingtrend. Auf Englisch lässt sich diese Arbeitssituation schön in die Formel fassen: „Not to make a living, but a life.“ Es geht nicht einfach darum zu arbeiten, sondern Teil einer Community zu sein, Gemeinschaft zu leben.
Im Homereport 2020 wird auch aus dem Buch „The Happy Brain“ des Neurowissenschaftlers Dean Burnett zitiert, in dem er Häuser als Rückzugsmöglichkeiten in Stress- oder Angstsituationen beschreibt. Der Trend zu Tiny Homes erfüllt diesen Zweck demnach nur eingeschränkt.
Warum drängt es die Menschen in diese Gemeinschaften?
Immer mehr Menschen, junge wie alte, werden alleine wohnen. (Anm.: Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Zahl der Einpersonenhaushalte weiter steigt und bis 2040 in Deutschland rund 19,3 Millionen Menschen alleine leben werden.) Angesichts dieser ständig steigenden Zahl an Singlehaushalten spielt Einsamkeit eine immer größere Rolle. Dabei ist die soziale Isolation das Problem, nicht das Alleinsein an sich. Einsamkeit schlägt auf die Gesundheit. Verursacht wird sie auch durch die Digitalisierung und durch kleinste Wohnräume ohne Gemeinschaftsflächen.
Warum drängt es die Menschen in diese Gemeinschaften?
Immer mehr Menschen, junge wie alte, werden alleine wohnen. (Anm.: Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Zahl der Einpersonenhaushalte weiter steigt und bis 2040 in Deutschland rund 19,3 Millionen Menschen alleine leben werden.) Angesichts dieser ständig steigenden Zahl an Singlehaushalten spielt Einsamkeit eine immer größere Rolle. Dabei ist die soziale Isolation das Problem, nicht das Alleinsein an sich. Einsamkeit schlägt auf die Gesundheit. Verursacht wird sie auch durch die Digitalisierung und durch kleinste Wohnräume ohne Gemeinschaftsflächen.
Als eine Möglichkeit, der sozialen Isolation und Vereinsamung entgegenzuwirken, nennt der Homereport die bewusste Gestaltung des öffentlichen Raums. Ein Park mit Bänken und Schattenplätzen lädt zum Aufenthalt ein, erleichtert es, mit anderen ins Gespräch zu kommen. In diesem Sinne sind Stadtgartenprojekte wie der Prinzessinnengarten in Berlin gleich in mehrfacher Hinsicht ideal: Gemeinsam etwas unternehmen, eigenes Gemüse anbauen und dabei gleich noch für ein besseres Stadtklima sorgen.
Gehen wir zu wenig raus und nutzen den öffentlichen Raum zu wenig?
Die öffentlichen Flächen in den Städten fehlen. Es gibt keine Piazza mehr, wie wir sie aus Italien kennen, wo gespielt und flaniert wird, wo die Gemeinschaft eine Form erhält.
Wie könnten wir das ändern? Spielt dabei die Architektur eine Rolle?
Die Stadtplaner nehmen diesen Aspekt zunehmend wieder auf. Zudem sehe ich immer mehr Cafés in den Städten, in denen Menschen an Laptops arbeiten, sich zu Arbeitsbesprechungen treffen. Wir sind flexibel und können überall arbeiten.
Gehen wir zu wenig raus und nutzen den öffentlichen Raum zu wenig?
Die öffentlichen Flächen in den Städten fehlen. Es gibt keine Piazza mehr, wie wir sie aus Italien kennen, wo gespielt und flaniert wird, wo die Gemeinschaft eine Form erhält.
Wie könnten wir das ändern? Spielt dabei die Architektur eine Rolle?
Die Stadtplaner nehmen diesen Aspekt zunehmend wieder auf. Zudem sehe ich immer mehr Cafés in den Städten, in denen Menschen an Laptops arbeiten, sich zu Arbeitsbesprechungen treffen. Wir sind flexibel und können überall arbeiten.
Führt die Verstädterung zu stärkerer Luftverschmutzung?
Beim Verkehr sehe ich eher eine Kopenhagenisierung. In Kopenhagen gibt es schon heute mehr Fahrräder als Autos, und vielleicht sogar als Menschen.
Wenn wir überall arbeiten können und ein Teil der Urbanisierung auch die Vertical Villages sind, also gestapelte Dörfer in Form von Hochhäusern, in denen sogar Lebensmittel für den Eigenbedarf angebaut werden, warum ziehen wir dann nicht gleich wieder aufs Land, beleben verwaiste Dörfer neu? Oder ist Stadtflucht nur ein parallel existierender Gegentrend?
Die Infrastruktur, bessere Mobilitätsangebote und das Gefühl, weniger allein zu sein, sehen viele Menschen als Grund für ein Leben in der Stadt. Es gibt aber auch Lebensphasen, in denen Menschen das Landleben vorziehen, und zwar generationsübergreifend. Die Entscheidung liegt in den individuellen Lebensumständen. Die Infrastruktur muss zu den jeweiligen Bedürfnissen passen. Menschen bewerten einzelne Aspekte wie den öffentlichen Nahverkehr, das kulturelle Angebot oder die Nahversorgung unterschiedlich.
Beim Verkehr sehe ich eher eine Kopenhagenisierung. In Kopenhagen gibt es schon heute mehr Fahrräder als Autos, und vielleicht sogar als Menschen.
Wenn wir überall arbeiten können und ein Teil der Urbanisierung auch die Vertical Villages sind, also gestapelte Dörfer in Form von Hochhäusern, in denen sogar Lebensmittel für den Eigenbedarf angebaut werden, warum ziehen wir dann nicht gleich wieder aufs Land, beleben verwaiste Dörfer neu? Oder ist Stadtflucht nur ein parallel existierender Gegentrend?
Die Infrastruktur, bessere Mobilitätsangebote und das Gefühl, weniger allein zu sein, sehen viele Menschen als Grund für ein Leben in der Stadt. Es gibt aber auch Lebensphasen, in denen Menschen das Landleben vorziehen, und zwar generationsübergreifend. Die Entscheidung liegt in den individuellen Lebensumständen. Die Infrastruktur muss zu den jeweiligen Bedürfnissen passen. Menschen bewerten einzelne Aspekte wie den öffentlichen Nahverkehr, das kulturelle Angebot oder die Nahversorgung unterschiedlich.
Die Natur erobert sich Industrieflächen zurück, was von der Stadtplanung teilweise unterstützt wird. So entstand auf den Brachflächen rund um die ehemalige Zeche Zollverein in Essen ein ausgedehntes Naherholungsgebiet.
Urbanisierung, Individualisierung, Mobilisierung – wie verändern sich diese Trends angesichts des Klimawandels? Wie wird der Klimawandel generell unser Wohnen beeinflussen?
Der Klimawandel wird alle Trends beeinflussen. Jede Branche wird davon betroffen sein, was sich auch bei dem Cradle to Cradle-Ansatz zeigt. (Anm.: Bei diesem Ansatz, den der Chemiker Michael Braungart mit dem Architekten William McDonough entwickelt hat, werden Produkte und Materialien in einem ständigen Wiederverwertungskreislauf gehalten.)
Und welche Trends gibt es beim Haus- und Wohnungsbau?
Ein Trend geht in Richtung Holz, das aufgrund der Diskussion um den Klimawandel stärker in den Fokus der Baubranche gerückt ist. Der nachwachsende Rohstoff gilt als großer CO2-Speicher. In Schweden gibt es schon den Begriff des Woodscraper, analog zum Skyscraper, also etwa Holzkratzer statt Wolkenkratzer. Holz positioniert sich auch gegen die Digitalisierung. Es ist ein authentisches Material, hat eine Geschichte, ist gewachsen. Generell wird es auch im Baugewerbe um die Wiederverwendbarkeit von Material gehen und vielleicht sogar um veganes Interiordesign.
Es bleibt also spannend. Vielen Dank, Frau Horx-Strathern, für das Gespräch.
Urbanisierung, Individualisierung, Mobilisierung – wie verändern sich diese Trends angesichts des Klimawandels? Wie wird der Klimawandel generell unser Wohnen beeinflussen?
Der Klimawandel wird alle Trends beeinflussen. Jede Branche wird davon betroffen sein, was sich auch bei dem Cradle to Cradle-Ansatz zeigt. (Anm.: Bei diesem Ansatz, den der Chemiker Michael Braungart mit dem Architekten William McDonough entwickelt hat, werden Produkte und Materialien in einem ständigen Wiederverwertungskreislauf gehalten.)
Und welche Trends gibt es beim Haus- und Wohnungsbau?
Ein Trend geht in Richtung Holz, das aufgrund der Diskussion um den Klimawandel stärker in den Fokus der Baubranche gerückt ist. Der nachwachsende Rohstoff gilt als großer CO2-Speicher. In Schweden gibt es schon den Begriff des Woodscraper, analog zum Skyscraper, also etwa Holzkratzer statt Wolkenkratzer. Holz positioniert sich auch gegen die Digitalisierung. Es ist ein authentisches Material, hat eine Geschichte, ist gewachsen. Generell wird es auch im Baugewerbe um die Wiederverwendbarkeit von Material gehen und vielleicht sogar um veganes Interiordesign.
Es bleibt also spannend. Vielen Dank, Frau Horx-Strathern, für das Gespräch.
Umwelt- und klimabewusste Architekten und Bauunternehmer setzen zunehmend auf wiederverwertbare Materialien. Stahl etwa kann immer wieder in den Materialkreislauf zurückgeführt werden, da er ohne große Verluste eingeschmolzen und neu verarbeitet werden kann. Das Bewusstsein wächst, vorwiegend sortenreine, trennbare Materialien zu verwenden.
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Was glauben Sie, wie wir künftig wohnen werden? Kommentieren Sie!
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Die Megatrends gehen auf soziodemografische Daten zurück, also Statistiken zum Wohn- und Lebensumfeld der Menschen. Die Städte wachsen. Auch die Zahl der Singlehaushalte steigt. Zudem sind die Menschen beruflich wie privat viel unterwegs. Alle drei Megatrends, Urbanisierung, Individualisierung und Mobilität, beeinflussen sich gegenseitig. Wir alle sind Teil dieser Trends, die sich wie eine Revolution in Slow Motion entwickeln. Trends stellen eine positive Störung dar, die auch immer Gegentrends provozieren. Trend und Gegentrend existieren gleichzeitig.
Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Nehmen wir die Selfstorage-Bewegung. Sie entstand aus unserem Lebensstil: Wir sind mobil, ständig unterwegs. Ein Haus, ein Job, ein Partner fürs ganze Leben gibt es kaum noch. Stattdessen besteht unser Leben aus verschiedenen Phasen und Zwischenphasen, die wir an unterschiedlichen Orten leben. Unseren Besitz brauchen wir nicht ständig und nicht in jeder Phase den gleichen. Also verstauen wir, was wir gerade nicht brauchen.
Mobilität ist aber nicht der einzige Grund dafür, auf Stauraum außerhalb der Wohnung zurückzugreifen. Sind nicht auch die Immobilienpreise in den Städten und daraus resultierend kleinere Wohnräume eine Ursache?
Reduzierter Wohnraum ist sicher auch ein Grund für die Selfstorage-Bewegung, ebenso wie Tidyism, bei dem es um Aufräumen, aber vor allem um reduzierten Besitz geht. Marie Kondo gilt als Star dieser Bewegung.